Holzschnitt 1510
    
Nikolaus von Flüe
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Bruder Klaus

    Foto: Bruder Klaus
  
Bruder Klaus in Luzern – ©TAUAV – digitally remastered by WTH
  

Kolumne …
  
«Dorothea» oder «Dorothee»?
  
Wie müsste die offizielle, korrekte Schreibweise der Ehefrau des Niklaus von Flüe nach historischen Kriterien lauten? – Der Name stammt aus der griechischen Sprache und bedeutet Geschenk Gottes, als eine gleich­bedeutende Form von «Theodora». Ferner existieren in ver­schie­de­nen Sprachen mehrere Nebenformen.
  
Anlass zur Kontroverse gibt nun das Beiziehen des cod.11 in der Stiftsbibliothek Engelberg (d): Vom Jahrzeitenbuch des Paters Kaspar Gross sind 47 Folien (Blätter) in 6 Lagen à 8 Folien vorhanden. Bei der Nummerierung wurde manipuliert: fol. I–XXXXV (1–45) sind römisch nummeriert, dann folgen arabisch foliert die Blätter 46 und 47, dazwischen wurde allerdings ein Blatt herausgeschnitten – gem. Mit­teilung an W. T. Huber von Dr. phil. Rolf De Kegel, Stiftsarchivar Engelberg, 29. November 2007. (vgl. Quelle 080). Das Dokument wurde nicht erst kürzlich entdeckt. Es war bereits Robert Durrer bekannt und wurde in seinem Quellenwerk erwähnt (Seite 411). Es ist in einem Zustand, der keine zuverlässigen Schlüsse ermöglicht, was auch Dr. Durrer erkannte. Die Urfassung wurde 1491 geschrieben. Es waren auf der Seite mit den Angaben betreffend der Familie von Flüe – klar er­sichtlich – drei verschiedene Hände am Werk, drei Handschriften, und ver­schie­dene Tinten. Der Nekrolog wurde von der ersten Hand (Pater Kaspar Gross) 1491 geschrieben. Der Name der Ehefrau wurde später hin­zu­ge­fügt: «Dorotheen», in einer alten deutschen Genitivform. Wann wurde dieser hinzugefügt? Wann zwischen 1491 und 1501, oder später?
(>> Abbildung des cod.11)
  
Mündliche Überlieferungen sind nicht zu unterschätzen. Welche Form des Namens war in Sachseln zeitnah gebräuchlich? - In diesen Zeiten der erhielt der Magister Heinrich Wölflin aus Bern von der Kirche in Sachseln den offiziellen Auftrag, eine Biographie zu verfassen, welche dann in Rom für das Procedere der Seligsprechung hätte verwendet werden können. Die Hauptaufgabe des Historikers ist das Recherchieren. Demgemäss befragte er die noch lebenden Zeitgenossen in Sachseln sowie im Flüeli und nahm Einsicht in vorhandene Dokumente, vor allem das Sachsler Kirchenbuch von 1488. Eine umfangreiche Arbeit kann man nicht einfach von heute auf Morgen erledigen. Wann erhielt er den Auftrag? Die Fertigstellung wird auf die Zeit um 1501 angenommen – eine genaue Datierung ist nicht möglich – Autograph-Manuskript in der Natio­nal­bibliothek von Neapel (folr 12r-38v - siehe Rupert Amschwand, Ergän­zungs­band, 119ff. – hier in nvf.ch Quelle 072).
  
Der Vorname der Ehefrau des Niklaus von Flüe kommt im Manuskript Wölflins nur zweimal vor, in §8 und §40.
  
In §8 (Heirat) der Urschrift (Amschwand, 130) finden wir im lateinischen Genitiv «Dorothææ» (ae-Ligatur, üblich im Latein). Davon liesse sich leicht der alte deutsche Genitiv «Dorotheen» ableiten, aus zweimal æ wird ee. In Durrers Quellenwerk (Seite 533), aus einer späteren Abschrift entnommen, steht in Latein (Genitiv) «Dorotheæ», von ihm deutsch übersetzt: «Dorothea». – Der lateinische Genitiv ist der Schlüssel, denn das æ ist im Nominativ ein a.
  
In §40 (Tag nach dem Tod von BK) der Urschrift (A, 144) ist der Name im Nominativ «Dorothæa» zu finden. Durrer schreibt hier in Latein und auf deutsch «Dorothea». – Durrer hatte einen offiziellen Auftrag – wie eben schon Jahrhunderte zuvor Heinrich Wölflin. Und dementsprechend war nach ihnen der Name in deutscher Version stets offiziell «Dorothea».
  
In Sachseln war bis 2017 der offizielle Name immer «Dorothea». Dann stiess man wieder einmal auf das bereits bekannte Dokument cod. 11 in Engelberg. Der Zeitpunkt der Erweiterung mit dem Namen im Genitiv «Dorotheen» ist absolut nicht zuverlässig auszumachen. Daraus den bisherigen offiziellen Namen abzuändern ist ein historischer Missgriff. Manchmal wäre es schon ratsam mit der Euphorie etwas zurückzuhalten. Und wie gesagt, die mündliche Überlieferung in Sachseln und im Flüeli darf man nicht unterschätzen. Korrekte Schreibweise des Namens ist also: «Dorothea Wyss».
  
Andererseits kann bisweilen, in seltenen Fällen, auch in literarischer Freiheit die Form «Dorothee» Verwendung finden. Aber diese Form Allen verbindlich diktatorisch vorzuschreiben, wäre völlig daneben, unhistorisch und respektlos.
  
Beim Vornamen des Ehemannes kann Ähnliches beobachtet werden. In den Quellen heisst er stets «Nikolaus». Auch der grösste Quelleneditor, Robert Durrer, nennt ihn so. 1921 ist «die Welt noch in Ordnung». Und in den offiziellen Texten zur Heiligsprechung 1947 heisst es ebenso stets «Nikolaus», auch in einer deutschsprachigen Predigt des Papstes, Pius XII. – sowie bei einigen Autoren, etwa Walter Nigg. Doch viele Menschen neigen hier zu einer Bequemlichkeit: Es ist ihnen leid, Wörter mit mehr als zwei Silben auszusprechen – nicht ohne Grund gibt es die spöttische Rede­weise von den «einsilbigen Leuten». Aus dieser bequemlichen Neigung heraus wollte man dann in den späteren Jahrzehnten den Namen des Einsiedlers nun offiziell als «Niklaus» vorschreiben – unhistorisch und respektlos. Zugegeben: Auch ich, der Redaktor dieser Website und Autor sowie Herausgeber von Texten über den Eremiten im Ranft hielt sich an diese seltsame Weisung ohne sie je zu hinterfragen. – Und jetzt «Dorothea», vier Vokale, vier Silben, aussprechen? Da sollte man doch etwas kürzen können. Doch die vorgebrachten historischen Gründe ent­puppen sich als grammatikalische Unkenntnisse bezüglich der damaligen Sprache, sind also haltlos.
  
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Mittwoch, 9. Oktober 2024 19:09 Uhr
   
Bruder Klaus · Nikolaus von Flüe · Flüeli-Ranft · Schweiz
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(vormals: bruderklaus.ch)
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Letzte Dateiänderung: 23.09.2023 09:26:31
  
  
  
  
  
Einem gelehrten Besucher sagte Bruder Klaus einmal ironisch: «Jetzt will ich dir mein ‹Buch› zeigen, worin ich lerne.» – Er holte ein auf Tuch gemaltes Bild hervor. In seinem ersten Eindruck meinte der Fremde, das Bild hätte der Struktur nach eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Rad. Ein Rad mit sechs Speichen, wie kam er zu diesem originellen Vergleich (Assoziation)? Das «Mainzer Rad», Emblem des Kurfürsten und Erzbischofs von Mainz, hatte eine solche Struktur.
  
  
Wie schnell kann es geschehen! Da versteht jemand etwas falsch. Weil es aber irgendwie originell und spektakulär erscheint, zieht das Missverständnis immer grössere Kreise und wird zu einem Gerücht das sich hartnäckig hält. Auch über Bruder Klaus gab und gibt es Gerüchte. Da hat zum Beispiel jemand ein Wort in der Sprache des Mittelalters falsch übersetzt und schon heisst es: Bruder Klaus habe in einer Vision den Sohn Gottes geboren. Das ergibt natürlich keinen Sinn. In der Vision geschieht vielmehr dies: Gottvater dankt Bruder Klaus, weil er seinem Sohn zu Hilfe gekommen war in seiner Not, ihn aufgehoben und getragen hatte. [Jesus brach auf seinem Kreuzweg zusammen und blieb kraftlos liegen. Bruder Klaus meditierte sehr oft über diese Stelle in der Passion Christi und hatte dabei ein grosses Verlangen Jesus zu helfen, er hatte mitgelitten.]
  
  
Die Brunnenvision offenbart nicht zuletzt die Wahrheit über jeden Einzelnen von uns. Wo stehen wir mit unseren «Geschäften»? Werden wir von den Sorgen, Ängsten und Zwängen des Alltags nicht zu sehr vereinnahmt? Aufgefressen? Ja, auch die räumliche Nähe zu Bruder Klaus schützt uns nicht vor unseren eigenen unlauteren Wünschen und Absichten. Plötzlich kann es sein, dass wir uns noch so sehr für Bruder Klaus und sein Ansehen einsetzen aber trotzdem auf dem Marktplatz stehen, mit Knebeln jonglieren und den Pfennig dafür fordern. Und den Anderen, die gleichsam zu einer Tätigkeit auf dem Marktplatz «verurteilt» sind – sind oder wären wir bereit ihnen zu helfen? Oder kann es sogar sein, dass wir sie noch deswegen nach draussen schicken, weil sie sonst unsere «Geschäfte» stören würden oder weil sie uns nerven? Wo ist denn bei uns drinnen – wo draussen?
  
  
Zwischen Historie und Hysterie gibt es nicht nur einen grossen Unterschied, beide sind sogar unverträgliche Gegensätze. Trotzdem sind sie einander oft so nah. In Bezug auf Bruder Klaus wucherte nirgendwo die gerüchteträchtige Hysterie so sehr, als wenn es um das so genannte «Radbild» ging. Nachweislich ist aber das farbige Meditationstuch wesentlich älter als der Pilgertraktat (um 1487), und Bruder Klaus hatte mit der Entstehung des ihm geschenkten «Tüechli» nichts zu tun. Es entstand nicht auf Grund einer Vision, die sogar bisweilen in den Vorstellungen Mancher schreckhafte Züge annahm. «Schreckensvision», «Radvision», das und manches mehr waren bloss wilde Gerüchte, die jeglicher historischen Grundlage entbehren. Der Eremit im Ranft konnte überhaupt keine geometrische Radskizze besitzen, welche die Gestaltung des farbigen Bildes hätte beeinflussen können. Allein 1488 gibt es drei recht verschiedene Varianten der Radskizze, wovon die erste frühesten 1481 durch einen Besucher angefertigt worden war, der bei Bruder Klaus das gemalte Tuch gesehen hatte. – Irgendetwas Häretisches oder Schreckhaftes ist darin überhaupt nicht zu erkennen. Und das später mehrmals übermalte gekrönte Haupt in der Mitte stellt nicht Gott dar sondern einen Menschen. – Jedenfalls war das diesbezügliche hysterische Geschwätz auch mit schuld daran, dass die Heiligsprechung so lange hinausgezögert wurde.
  
  
In einer Vision sah Bruder Klaus einmal, wie die Menschen der Wahrheit den Rücken kehren und ihr Herz überwuchert ist mit einem Geschwür, das Eigennutz heisst. Wer sind diese Menschen? – Es ist wohl so, dass die Menschen viel zu oft Unwahrheiten mehr mögen als die Wahrheit, weil Unwahrheiten interessanter, origineller und betörend spannender erscheinen, wogegen die Wahrheit langweilig erscheint, ja bisweilen sogar die gute Laune und ein gutes Geschäft verderbend. – Leidet nicht auch das Christentum gerade heute manchmal an einem gestörten Verhältnis zur Wahrheit? Ein paar hundert Unwahrheiten und Gerüchte geben zusammen auch ein Krebsgeschwür der Lüge, die dem Christentum schaden können, es sogar tödlich bedrohen können. Dieses kritische Hinterfragen gilt selbstverständlich auch für jene, die für Bruder Klaus arbeiten, bei all ihren Aktivitäten, bei all ihren Worten, den eigenen wie den mitverantworteten Worten Dritter, den gesprochenen wie den gedruckten. Der Volksmund sagt: «Papier nimmt alles an.»
  
  
Welches ist die älteste Biografie über Bruder Klaus? Diejenige, die Heinrich Wölflin 1501 fertig erstellt hatte? – Mitnichten. – Ältere biografische Arbeiten kennen wir von Hans von Waldheim, Albrecht von Bonstetten und Heinrich Gundelfingen. Die kurze Biografie (ein Reisebericht) des Einsiedler Dekans von Bonstetten erreichte bereits 1479 eine grössere Streuung, Abschriften davon gelangten unter anderem bis nach Paris, Mailand und Venedig.
  
  
Das gekrönte Haupt im farbigen Sachsler Meditationsbild, das bei Niklaus von Flüe, bei Bruder Klaus, gefunden wurde, trug ursprünglich keinen Bart und hatte mehr jugendliche Gesichtszüge, wie es eine Röntgenaufnahme von 1947 deutlich zeigt. Als für die Drucklegung des «Pilgertraktats» (um 1487) ein Zeichner das Bild kopierte, trug das Haupt einen zweiteiligen Bart mit dem auch Bruder Klaus meistens dargestellt wird; das Bild wurde also an dieser Stelle erstmals übermalt, bevor es dem Eremiten im Ranft geschenkt wurde (spätestens 1480). Das Bild in der Urversion entstand höchstwahrscheinlich zwischen 1465 und 1475. Es handelt sich weder um ein Visionsbild noch um ein Radbild, der Verwendungszweck war ein ganz anderer. Bruder Klaus selbst hatte mit der Entstehung nichts zu tun. Spätere Texte – literarische Fiktionen – sollten uns nicht irritieren. Wessen Gesicht wird denn nun im zentralen Medaillon abgebildet? Vor der ersten Übermalung? Und danach? – Das Sachsler Meditationstuch war als «Heilspiegel» (Speculum Humanæ Salvationis) konzipiert.
  
  
Eigenartiger Zufall zweier Ereignisse im Jahr 1467: Im Juni wird der Graf von Charolais, Karl der Kühne, Herzog von Burgund und Markgraf des Heiligen Römischen Reiches, Herzog von Luxemburg, Brabant usw. Im Oktober 1467 bricht Bruder Klaus auf zu einer Pilgerreise, bei der er früher oder später das Hoheitsgebiet Burgunds betreten hätte. – Eigenartig auch die Wege der Freundschaften: Klaus von Flüe war befreundet mit dem Freiherrn von Spiez, Adrian von Bubenberg. Dieser war im April 1469 als Schultheiss von Bern im Ranft Zeuge, als der Konstanzer Weihbischof Thomas Weldner den Eremiten auf seine Rechtgläubigkeit und den Gehorsam prüfte. Was aber nicht mehr so bekannt ist, Adrian von B. war auch befreundet mit dem zwei Jahre jüngeren Karl dem Kühnen, war er doch in seiner Jugend als Page am Burgunder Hof (Kamerad für die Erziehung des zukünftigen Herzogs). Der Berner Patrizier und der Bauer aus Sachseln setzten sich beide immer für den Frieden ein. Nicht so der Freund in Brügge und ebenso wenig die Ratsherren in Bern, die Adrian von B. wegen seiner Friedenspolitik 1475 aus dem Rat ausstiessen, ihn aber in der Not kaum ein Jahr später zurückriefen.
  
  
An Sylvester 1478 lebte der Bauer und Ratsherr Niklaus von Flüe bereits elf Jahre als Einsiedler im Ranft. Seine Bekanntheit als «Bruder Klaus» hatte europaweit zugenommen. An diesem Tag besuchte den Eremiten der erste «Journalist» der damaligen Zeit, Albrecht von Bonstetten, Dekan in Ein­siedeln. Darüber verfasste dieser nun einen Bericht, der in mehreren Ab­schriften in alle Himmelsrichtungen gesandt wurde. Der biografische Text Bonstettens gibt zuverlässige Einblicke in die Spiritualität von Bruder Klaus. – Das Meditationsbild, das in der Zelle oder Kapelle gemalt gewesen sei, erwähnt der Dekan aus Einsiedeln nicht, auch nicht sonst ein «Buch» (im übertragenen Sinn, nämlich eine «Armenbibel»), auch keine Radskizze, nichts Vergleichbares in dieser Art. Wurde das farbige Tuch (keine Tafel) erst später, nach 1478 (1479–1480), Bruder Klaus geschenkt? Denn, wenn es am Sylvester 1478 da gewesen wäre, dann wäre es zweifellos Bruder Klaus so wichtig gewesen, dass über sein «Buch» auch gesprochen worden wäre und Bonstetten das sicher nicht ausgelassen hätte.
  
  
Martin Luther war ein grosser Bewunderer des Eremiten in der Innerschweiz, Niklaus von Flüe. Vor allem das vorbehaltlose Ergeben von Bruder Klaus in den Willen des gnädigen Gottes war in seinen Augen beispielhaft. Auf die Frage, was er denn tun würde, wenn er wüsste, dass morgen die Welt untergehen würde, soll der Wittenberger Theologe geantwortet haben: «Heute noch ein Bäumchen pflanzen.» – Eine Alternative der Hoffnung gegen das Verbreiten von Angst und Schrecken durch den Klimareport im Februar 2007 des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)? – Immerhin gibt es im Ökosystem «Natur» nur einen Ort, wo in ausreichendem Masse das «Killergas» (wie es ignorante Leute bezeichnen), alias Kohlendioxyd, abgebaut werden kann, wo obendrein erst noch Sauerstoff und Zucker entsteht, das Chlorophyll in den Grünpflanzen. … natürlich abbaubar und nicht in einer Geldwaschanlage.
  
  
Besass Bruder Klaus, alias Niklaus von Flüe, je eine «geometrische» Radskizze? Ein abstraktes Radsymbol? – Nein. Von einer vagen Formulierung «es habe in etwa ausgesehen wie …» einen Beweis herleiten zu wollen, wäre sträflich leichtsinnig. Die vorhandenen Beweise zeigen in die andere Richtung:
  
1.) Das farbige Tuch ist älter als die gedruckten und gezeichneten Radskizzen.
  
2.) Das zentrale Medaillon im Tuch wurde bereits erstmals übermalt, bevor das Meditationsbild dem Eremiten im Ranft 1479–80 geschenkt wurde. Das ist ein historisches Faktum (• Röntgenaufnahme von 1947).
  
3.) Spätestens 1488 existieren drei stark von einander abweichende Skizzen, zwei Holzschnitte und eine Bleistiftzeichnung (Quelle 052). Letztere ist zweifellos der Ursprung der anderen beiden.
  
4.) Das farbige Meditationsbild von Bruder Klaus war keine Tafel (keine Betrachtungstafel; als Tafel wurde es erst 1611 gefasst – Quelle 247) sondern ein zusammenrollbares, mobiles Leinentuch, bemalt mit Temperafarben. Genau diesen Gegenstand zeigte der Eremit dem so genannten «Pilger», also keine «geometrische» Radskizze, kein abstraktes Radsymbol.
  
Studie «Das Sachsler Meditationstuch» als Druckversion (• PDF)
  
Die Schilderung im Pilgertraktat mutet an wie die Vorgehensweise eines Studenten der Kunstwissenschaft, wenn er von einem Bild skizzenhaft ein Konzept, eine Struktur ergründen will. Wer war der Student und wer sein Professor? – Das «Rad» ist in diesem Zusammenhang eine versuchte Deutung, weil im Lateinischen für Lichtstrahl und Speiche die gleichen Wörter gebraucht werden: «radius» oder «radiolus». Wer war der Erfinder dieser Deutung, die bis heute oft missverstanden wird.
  
Welches Gesicht wurde in der Mitte des Meditationstuches ursprünglich dargestellt?
  
Allgemein sollte man die Warnung nicht ignorieren: Die Sicht der Geschichte darf nicht so manipuliert werden, damit das Geschäft besser läuft oder weil man sich derart in eine Fehlinterpretation verliebt hat, dass man nicht mehr loslassen kann. Wenn man stur das «Rad der Geschichte» gerne so konstruieren will, wie man es gerne hätte, kann es sein, dass man überrollt wird von den Tatsachen und dass ein grosser Schaden entsteht.
  
Es geht auch nicht an, eine der so genannten «Radskizzen» in den beiden Erstausgaben (um 1488) des Pilgertraktats (von Peter Berger in Augsburg und von Markus Ayrer in Nürnberg – Quelle 048) für «älter» zu erklären, nur weil sie einem besser gefällt. Dass im Übrigen eine der beiden Ausgaben älter ist, dafür gibt es keinen Beweis und keinen Hinweis. Gemeinsamkeiten in der Sache und sprachliche Abweichungen lassen darauf schliessen, dass beide Drucker (Herausgeber) aus der gleichen Vorlage schöpften, die ihrerseits nicht deutsch war sondern lateinisch und die zweifellos eine Radskizze enthielt. Zudem darf man niemals von heutigen Gegebenheiten auf die von damals schliessen; die Drucker damals waren Akademiker, wenn auch nur mit dem niedersten Titel eines Bachelors (baccalaureatus artium). Alle konnten auch lateinische Texte in ihre Muttersprache übersetzen, samt regionalen Sonderformen. Wie kamen die beiden Drucker zu dieser nicht so bedeutenden Vorlage? Deren Autor musste beiden persönlich bekannt gewesen sein. Und wenn dieser wiederum ein Professor an einer Universität war, dürfte es naheliegend sein, dass die beiden Herausgeber noch vor Kurzem seine Studenten waren.
  
  
Wann war 1469 Ostern? Wann besuchte der unbekannte Dominikaner Bruder Klaus im Ranft? Im 15. Jahrhundert, zu Zeiten des Niklaus von Flüe, galt noch der Julianische Kalender. Nach der entsprechenden Formel können wir nun rückwirkend das jeweilige Osterdatum von damals und die davon abhängigen beweglichen Tage berechnen.
  
  
Wie hiess die Ehefrau von Bruder Klaus, alias Niklaus von Flüe, mit richtigem Namen? Korrekt geschrieben? «Dorothea von Flüe-Wyss»? Oder «Dorothea Wyss»? – Vor der Französischen Revolution behielten die Frauen nach der Eheschliessung ihren alten Familiennamen. Das änderte sich in Frankreich offiziell mit dem Code Civil von 1804. – Das Behalten des bisherigen Familiennamens ist nicht erst die Erfindung der Femi­nistinnen im 20. Jahrhundert. «Dorothea von Flüe» ist also historisch gesehen auf jeden Fall falsch. Der richtige Name der Ehefrau lautet demnach: «Dorothea Wyss». So wird es jedenfalls von Valerius Anshelm in seiner Berner Chronik (Quelle 229) überliefert. Da können irgendwelche ignoranten Besserwisser, die auch sonst gerne an der Geschichte nach ihrem Gutdünken herummanipulieren, lange lamentieren: Aber sie sei doch keine Emanze gewesen. So ein Unsinn!
  
  
Finden wir in den Berichten über die Spiritualität von Bruder Klaus, alias Niklaus von Flüe, auch etwas zum Thema «Pfingsten»? – Ja, im Bericht von der Brunnenvision, vornehmlich in demjenigen, den Caspar Ambühl um 1500 überlieferte (Quelle 068). Der flüssige Inhalt des Brunnens besteht aus dreierlei: Wein, Öl und Honig. BrunnenvisionAls Inspiration hierfür könnte der bereits im 9. Jahrhundert ent­standene Pfingshymnus, «Veni Creator Spiritus» (Komm Schöpfer Geist) gedient haben. Der heilige Geist ist hier der lebendige Brun­nen, er ist Feuer (ignis, vgl. Wein), Seelen-Salbung (vgl. Öl) und Liebe (vgl. Honig). In diesem Zusammen­hang scheinen uns auch die Worte authentisch, welche wir im so ge­nannten «Pilgertraktat» (Quelle 048) wiederfinden: «Er [Gott] ist der Brunnen, woraus alle Weisheit fliesst und demjenigen mitgeteilt wird, der ihrer aus echter Liebe be­gehrt. Das ist die süsse Ein­flies­sung des Heiligen Geistes, wo­durch es uns ermöglicht wird, seine reine Gottheit ewig anzu­schau­en.» – Der Einsiedler, Niklaus von Flüe, macht hier auch die wich­tige Er­fahrung, dass kein Mensch aus ei­ge­ner Kraft zum Brunnen gelangen kann, es sei denn, er las­se sich von der Kraft Gottes tragen und leiten. Wer das nicht tut, ist ein törichter Mensch (vgl. Wolkenvision im Sachsler Kirchenbuch, Quel­le 053). Wer sich aber vom machtvollen Geist Gottes tragen lässt und sich ganz in seinen Willen ergibt, hat vergleichsweise in der arabischen Spra­che den herausragenden Namen «Muslim» (مسلم‎).
  
  
Errare humanum est. – Jeder Mensch kann Fehler machen. Aber leider merken es viele Menschen in ihrer Blindheit und Sturheit selber nicht, wenn sie sich irren. Ein Grundfehler ist, alles Historische, Vergangene mit sich selbst und den Verhältnissen der eigenen Umwelt und der eigenen Zeit zu vergleichen und so von der eigenen kleinen Welt aus subjektiv und nicht objektiv zu beurteilen. Die Frage scheint vielleicht nicht für jedermann von grosser Bedeutung zu sein: Wie hiess (und heisst) eigentlich die Ehefrau von Bruder Klaus, alias Niklaus von Flüe? – «Dorothea von Flüe-Wyss»? Nein, das ist in historischer und juristischer Sicht absolut falsch. Die Situation im Mittelalter bis zur Französischen Revolution (1798) war die: Die Frauen behielten ihren Familiennamen auch nach der Eheschliessung, die Kinder erhielten den Namen des Vaters; das kanonische Recht der Kirche sah nie etwas Anderes vor. Erst mit der Einführung der Ziviltrauung durch die Revolution in Frankreich änderte sich dies. Die Ehefrau des Niklaus von Flüe hiess (und heisst) also «Dorothea Wyss». – Das gehe doch nicht, sie sei doch keine «Emanze» gewesen! Derartige Einwände sind völlig fehl am Platz. Ein borniertes Beharren auf dem Irrtum kann nun aber Folgen haben. In verschiedenen Kreisen wird erwartet, dass die Kirche zur Verehrung des Ehepaares in der Liturgie die Erlaubnis gibt. Wie soll denn das möglich sein, wenn man einen Antrag stellen möchte und dabei nicht einmal weiss, wie der volle Name der Ehefrau korrekt lautet? – Die Geschichte von hinten her aufzurollen und zu erklären, das nennt man auch «Revisionismus».
  
  
Hat Caspar am Büel (neudeutsch: Ambühl) den Bericht dreier Visionen (Pilgervision, Brunnenvision und Dankesvision) selbst geschrieben oder hat er ihn nur mündlich überliefert? Wer ist er nun eigentlich? – Verena von Flüe, Tochter von Bruder Klaus, war in ihrer zweiten Ehe in Altsellen (nahe Engelberg) verheiratet mit einem Hensli Onofrius; der Name der Sippe war «am Büel». Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor. Es ist nun anzunehmen, dass Caspar am Büel ihr Sohn ist und demnach ein Enkel von Bruder Klaus (Niklaus von Flüe). Dieser Caspar am Büel hatte die Erzählung der Visionen somit von seiner Mutter überliefert erhalten. Am Schluss des fragmentarischen handschriftlichen Berichts (um 1500, Fragment aus drei Blättern) befindet sich eher keine Unterschrift sondern vielmehr ein Memorial: «Orate pro prescriptere …», ein Totengedenken, bestimmt für Caspar am Büel. Was hat eine Orgel in Engelberg damit zu tun? Oder das Alphorn? – Der Visionsbericht ist nun auch online in originalsprachlicher Transkription erhältlich.
  
Selbstverständlich hat Bruder Klaus in der «Dankesvision» nicht den Sohn Gottes «getragen und geboren». Das wäre zweifellos ein blamabler Übersetzungsfehler. Daran trotzdem festzuhalten und die Leser für dumm zu verkaufen, wäre gewiss ein schlechter Stil. Abgesehen davon ist das Unterschieben von Unwahrheiten grundsätzlich ethisch verwerflich. Der Eremit «Klous von Fluo» hatte Jesus auf seinem Kreuzweg immer wieder imaginativ begleitet, ihn «aufgehoben und getragen» (richtige Übersetzung); er hatte dessen Leiden mitgetragen.
  
  
Zwischen dem 16. Oktober 1480 und dem 31. Januar 1481 weilte Heinrich Gundelfingen aus Freiburg im Breisgau in der Schweiz und dabei ziemlich sicher auch im Ranft beim Eremiten Niklaus von Flüe. 1480 erhielt der Priester und Literaturprofessor von der Stadt Luzern die Pfründe eines Chorherren von Beromünster, damit verbunden war auch das Kollaturrecht Luzerns für die Pfarrei Sarnen. Gundelfingen wollte sich bei der Leuchtenstadt mit einem Geschenk bedanken. Doch seine aufwändig gestaltete Handschrift mit einer Lobrede (Epitaph) auf den Einsiedler Bruder Klaus liess lange auf sich warten. Es sollte zudem auch ein Offizium mit Musiknoten für die Messe und das Stundengebet enthalten (Quelle 052). Seine Widmung mit Datierung fügte der von Luzern ernannte Chorherr von Beromünster erst Mitte (Iden) August 1488 hinzu. – In seiner «Historia Nicolai Underwaldensis heremite» erwähnt Gundelfingen auch das farbige Meditationsbild (Radbild) im Oratorium von Bruder Klaus – rote picturam … suo in oratorio depingere fecit –, also keine geometrische Skizze. In seiner Pflicht, die Studenten auch in Mathematik zu unterrichten, besass er gute Kenntnisse in Geometrie und konnte mit Zirkel und Lineal eine abstrakte Struktur des Meditationsbildes anfertigen. Diese fügte er der Handschrift bei, allerdings nicht mit Tinte (es gab noch kein Reiszeug) sondern nur mit einem damals bereits vorhandenen Bleistift (harte Blei-Silber-Legierung), eine genauere Erklärung zur Skizze fehlt, die Worte nehmen deutlich Bezug auf das zusammenrollbare und mobile Temperagemälde. – Von der Entstehung des gemalten Tuches und dem Weg zu Bruder Klaus, wusste Gundefingen nichts. Von Berufs wegen neigte er aber zu entsprechenden Spekulationen und zum Ergründen eines zugrunde liegenden Konzepts. Damit bewegte er sich bereits in der Grauzone zwischen Dichtung und Wahrheit. Fast gleichzeitig, 1486–88, wurde in Augsburg der so genannte «Pilgertraktat» gedruckt, anonym (Quelle 048). Vermutlich war der verantwortliche Drucker, Endredaktor und Herausgeber, Peter Berger, kurz zuvor ein Student Gundelfingens; beide mussten sich gekannt haben. Die Spekulationen blühten hier weiter. Die Radskizze in dieser Augsburger Inkunabel ist aber ein krasses Missverständnis, denn in der mit Zirkel angefertigten Radskizze des Professors ist der Mittelpunkt nicht extra eingezeichnet sondern nur als Nadeleinstich mit einem Krater vorhanden. Er gehört also nicht zum ursprünglichen Rekonstruktionskonzept. – Als hervorragender Kenner des klassischen Lateins kannte Gundelfingen selbstverständlich das Wort «radius», bzw. «radiolus», ein Synonym im Deutschen sowohl für den Lichtstrahl wie für die Speiche eines Rades. Lichtstrahlen wurden im Mittelalter auch graphisch an Stelle von hinweisenden Pfeilen verwendet. Die Assoziation des farbigen Tuches mit einem Rad ist ohne Zweifel die Original-Idee des Professors aus Freiburg, seine «Erfindung». Ein Rademblem mit sechs Speichen war früher im Wappen des Kurfürsten und Erzbischofs von Mainz enthalten.
  
  
Texte, in denen herausragende Personen oder Ereignisse der Vergangenheit beschrieben werden, können wir unter verschiedenen Aspekten betrachten:
1. historische Zuverlässigkeit
2. literarischer Aspekt
3. spirituelle oder weltanschauliche Bedeutung
  
Beim anonym und ohne Datierung erschienenen so genannten «Pilgertraktat» (Quelle 048) mag die historische Zuverlässigkeit in Hinsicht auf die Entstehung des Meditationstuches von Bruder Klaus fraglich sein, spirituell-ethisch betrachtet ist der Text dennoch von grosser Bedeutung. Was wird nun darin zum Thema Advent und Weihnachten gesagt? – «Der Ochs und der Esel haben die Krippe ihres Herrn erkannt (Jes 1,3). Aber der Mensch wollte die Ankunft seines Schöpfers nicht erkennen. Darum stelle ich mir die Frage, ob sich der Mensch dessen bewusst ist und je in ganzer, vollkommener Liebe an die Ankunft unseres Herrn gedacht und sie ernst genommen hat. Jetzt besinne dich, ob du dem Fremden entgegengegangen bist und ihn unter dein Dach heimgeführt hast! Dann zweifle ich nicht daran, dass du dabei daran dachtest, wie Maria, die höchste Königin, die Fremde erfahren musste mit ihrem trauten Sohn, der aus grossen Ehren und Freuden, aus aller Herrlichkeit des Himmels, herabgestiegen ist und geringer wurde als ein Knecht (Phil 2).»
  
Zum Glaubensgut um Weihnachten liesse sich sehr viel sagen. Doch jeder Mensch hüte sich, sich da in einen sektiererischen Wahn zu versteigen. Die ethische Sicht der Botschaft Jesu lautet jedenfalls in ihrer Sinnspitze: «Tue Anderen Gutes und Gott wird es lohnen». – Doch fü jene, die nicht an Gott glauben oder nicht an sein Eingreifen in diese Welt glauben, gibt es immer noch das Gewissen. Sicher ist auf jeden Fall: Das Gefühl der harmonischen Ausgewogenheit ist schöner als eine quälende Dishamornie. Zudem: Frieden ohne Gerechtigkeit ist nicht möglich. Wer stets auf die Gerechtigkeit setzt, tut auch immer etwas für den Frieden.
  
Gutes tun … Muslime grüssen andere Menschen mit den Worten: «Al Salam aleikum!» (Der Friede sei mit dir!) – Bruder Klaus legt uns mit Nachdruck nahe: Gott ist der Friede. Hört aufeinander! Bemüht euch um den Frieden! Wer aber Wahrheit und Gerechtigkeit massiv mit Füssen tritt, Andere permanent ausgrenzt und so dem Unfrieden den Vorzug gibt, der lässt in seinem Tun nicht Gott aufscheinen sondern eine satanische Missgeburt in ihm selbst, die ihn letztlich innerlich auffrisst. Unfriede wird zerstört (liess Bruder Klaus an den Rat von Bern schreiben, Quelle 031). – Weihnachten ist immer möglich, an jedem Tag im Jahr. Das Mindeste, das wir also tun können, ist: Anderen ausnahmslos den Frieden ernsthaft wünschen. – Oder wiederum für Nichtgläubige: Der Friede, die Harmonie, ist Gott, das Göttliche, will heissen: Der Friede ist der Anfang des Seins und das höchste Ziel des guten Strebens. Aber sind wir heute nicht weit davon entfernt? Zeigt das Geld in die entgegengestzten Richtung? Eben hin zum Unfrieden? Jeder unkontrolliert wuchernde Wahn führt die Menschen in den heillosen Unfrieden.
  
Und was machen wir jetzt mit der Minarett-Vision des Klaus von Flüe (Turmvision, Sachsler Kirchenbuch, Quelle 053)? – Nein, das Minarett an sich ist ursprünglich weder ein religiöses Symbol noch ein Machtsymbol. Das Wort bedeutet einfach nur «Leuchtturm». Diese Türme wurden Nachts beleuchtet, um den Karawanen in der Wüste den Weg zu weisen. Nun, die Schweiz liegt weder am Meer noch am Rand einer Wüste. Haben deren Bewohner es nicht nötig, in geistig-ethischer Weise wenigstens, etwas mehr Weg weisendes Licht aufscheinen zu lassen. Ein solches leuchtendes Vorbild war und ist der Eremit im Ranft, Bruder Klaus. In einer weiteren Vision sprach eine Stimme aus der Wolke zu ihm: Er solle sich in den Willen Gottes geben, sonst sei er ein törichter Mann, er solle freiwillig bereit sein zu dem, was Gott mit ihm wirken wolle. Ein Mensch, der sich vorbehaltlos in den Willen Gottes gibt, heisst auf Arabisch: «Muslim». Verstehen die Schweizer die «Welt» stets etwas anders, als die Menschen am Rand der Wüste oder an einem Ufer der Weltmeere? Sind sie nicht bisweilen nicht nur tektonisch etwas zu sehr abgehoben?
  
  
Für das historische Arbeiten gibt es Regeln. Beim Umgang mit herausragenden Personen in der Geschichte müssen diese berücksichtigt werden, damit dem Ansehen der Person kein Schaden zugefügt wird. Das gilt auch im Hinblick auf Niklaus von Flüe. Beim Versuch die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses zu ergründen, gibt es drei Grade:
1. Vermutung, Gerücht
2. Hinweis (Indiz)
3. Beweis
  
Wenn ein Hinweis auf das Gegenteil einer Vermutung hinweist, ist das Vermutete wenig bis kaum wahrscheinlich. Vermutungen sind rein subjektiv, in der negativsten Art hätte man es gerne, dass etwas so und so gewesen sei; der Wunsch wird zur Wirklichkeit (Wahrheit) erhoben. In historischer, psychologischer und ethischer Hinsicht ist das jedoch nicht akzeptabel. Zum Beispiel: Beim Pilgertraktat hätte man es gerne, dass die Augsburger Ausgabe, ohne Jahresangabe, älter sei als die Nürnberger Ausgabe, datiert mit 1488. Aber es gibt dafür keinen Beweis, auch keinen objektiven Hinweis.
  
Viele Rätsel gibt uns bis heute das farbige Meditationsbild auf, das einst Klaus von Flüe gehörte. Um diesen Gegenstand wucherten Gerüchte mit teilweise hysterischen Dimensionen. Zusammengefasst sind es zwei:
1. Das farbige, zusammenrollbare Tuch (damals noch nicht als Tafel gefasst) sei auf Grund einer schreckhaften Gottesvision (Radvision) entstanden.
2. Bruder Klaus habe vorerst nur eine geometrische Skizze besessen, auf Grund dessen hernach das farbige Bild – ein Sechspass – entstanden sei, weil ein undatierter, anonymer (!) Frühdruck – der «Pilgertraktat» – eine vage Andeutung machte: Bruder Klaus habe etwas hervorgeholt, das in seiner Struktur in etwa ausgesehen habe wie ein Rad.
  
Wenn wir die Ursachenkette schrittweise durchgehen, kommen wir zu folgendem Ergebnis:
1. Bruder Klaus besass zweifellos das farbige Meditationsbild, das seinerzeit, wie bereits gesagt, keine Tafel sondern ein zusammenrollbares Leinentuch war.
2. Also keine Radskizze! Welche denn auch? Es gab um 1488 bereits drei voneinander abweichende Skizzen, von denen die durch Heinrich Gundelfingen mit Zirkel und Bleistift gezeichnete (Quelle 052) ziemlich sicher die ursprüngliche sein dürfte, ohne dass diese in der dazugehörenden Handschrift mit Worten erwähnt wird. Die Mitte ist lediglich ein Nadeleinstich mit einem Krater – es war also kein Mittelpunkt eingezeichnet. Das führte aber gerade deswegen zu Missverständnissen. Die Augsburger Version des «Pilgertraktat» (Quelle 048) hat im entsprechenden Holzschnitt in der Mitte einen winzigen Kreis, dem Krater des Nadeleinstichs nachempfunden. Der Druck aus Nürnberg, datiert mit 1488, bildet im Holzschnitt die Skizze Gundelfingens seitenverkehrt ab.
3. Professor Gundelfingen versuchte – von Berufes wegen – ein dem Bild zugrundeliegendes Konzept zu ergründen. Die Lichtstrahlen im Bild heissen auf lateinisch (im Singular) «radius» bzw. «radiolus»; im Latein wird für die Radspeiche das gleiche Wort benutzt. Dass das Bild etwas mit einem «Rad» gemein habe, ist also Gundelfingens originelle Deutung, aber keineswegs eine verbindliche.
4. Am Sylvester 1478 war das Meditationstuch noch nicht im Ranft, als Albrecht von Bonstetten Bruder Klaus besuchte (Quelle 015). Da das «Buch» (im übertragenen Sinn, wie die Armenbibel) dem Eremiten viel bedeutete, hätte er es dem Besucher gegenüber mit Nachdruck erwähnt, und Bonstetten hätte es in seinem Bericht sicher auch festgehalten.
5. Heinrich Gundelfingen, Professor an der Universität Freiburg im Breisgau, besuchte im Winter 1480/81 den Einsiedler Niklaus von Flüe. Gundelfingen ist der erste, der das farbige Bild erwähnt. Keine geometrische Skizze!
6. Das Bild wurde Bruder Klaus in den Jahren 1479–1480 geschenkt, höchstwahrscheinlich war es ein Beutestück aus den Burgunderkriegen.
7. Es entstand zwischen 1465 und 1475 – am ehesten sogar um 1469 – in Basel, im Umfeld von St. Leonhard (Stiftskirche der Augustiner Chorherren).
8. Das innere Medaillon des Tuches, das der Zeichner der Vorlage für die Holzschnitte in den Druckversionen des «Pilgertraktats» vorfand, hatte einen Bart und offensichtlich eine Bügelkrone.
9. Eine Röntgenaufnahme von 1947 zeigt teilweise den ursprünglichen Zustand, im Vergleich zur heute sichtbaren Version: andere Krone (Krone und Hut kombiniert), keinen Bart, andere Augen, das Gesicht hat mehr vollere, jugendlichere Züge (• Bild, Röntgenaufnahme positiv). Der Mensch gilt in theologischer Sicht zwar als «Ebenbild Gottes». Das dargestellte Antlitz ist jedoch nicht das von Christus auch nicht ein visionäres Gotteshaupt. Es ist vielmehr dem eines damals existierenden Menschen sehr ähnlich. Dargestellt ist höchstwahrscheinlich Karl der Kühne, Herzog von Burgund (1433–1477). Das ganze Tuch diente ursprünglich wohl als mobiles Andachtsbild im Feld.
10. Bruder Klaus hatte zwar mit der Entstehung nichts zu tun, empfand aber stets grosse Freude an dem Geschenk, das er sein «Buch» nannte. Das zentrale Medaillon wurde offensichtlich übermalt, bevor es dem Einsiedler geschenkt wurde. Nach dessen Tod wurde es noch zweimal stark verändert. Nach der Restauration von 1947 im Kloster Engelberg kann das ursprüngliche Gesicht nicht mehr mittels Röntgenstrahlen sichtbar gemacht werden.
  
Der ganzen Schlussfolgerung liegen also nebst einigen bedeutenden Hinweisen auch zwei klare Beweise zu Grunde:
1. Die Existenz dreier voneinander abweichenden Radskizzen
2. Das Röntgenbild von 1947 (von Dr. med. Eugen Hess, Engelberg)
  
  
Das Sachsler Meditationstuch, das einst Niklaus von Flüe gehörte, ist sozusagen ein Mind Mapping der Devotio Moderna. In der Mitte wird das Haupthema dargestellt: der Mensch als Ebenbild Gottes. Vom zentralen Thema gehen Äste aus zu den mit ihm zusammenhängenden Seitenthemen, ohne die das Hauptthema gegenstandslos wäre.
(• Schema öffnen, PDF)
  
Der Mensch ist Abbild Gottes (Gen 1,27), gemäss Augustinus in den drei Seelenteilen: Geist, Vernunft, Wille. Der franziskanische Theologe Bonaventura bezieht diese Entsprechung auf die drei Personen Gottes. Bildlich kann diese Dreiheit dargestellt werden mit drei wichtigen Teilen des Gesichts: Auge, Ohr, Mund. Diese Idee wurzelt im Gedankengut des Petrus Lombardus. Vor der ersten Übermalung war im zentralen Medaillon das Ohr noch sichtbar, wie überhaupt das ursprüngliche Gesicht gegenüber dem heute an der Oberfläche erscheinenden sehr verschieden ist (• Röntgenaufnahme von 1947). – Der Mensch ist das Abbild (Ebenbild) Gottes, der regierende Fürst mit seiner grossen Verantwortung ist es dazu noch in besonderem Masse.
  
Die sechs äusseren Rundbilder enthalten die sechs wichtigsten Momente des christlichen Glaubens: Schöpfung, Verkündigung Christi, Tod Jesu am Kreuz, Geburt, Gefangennahme Jesu, Gegenwart Christi in der Messe. Die drei erstgenannten Medaillons beziehen sich auch auf die drei göttlichen Personen: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Zudem wird überall in Symbolen das angedeutet, was der Mensch tun muss, um wirklich Abbild Gottes zu sein, nämlich barmherzig gegenüber den Mitmenschen handeln.
  
Der Glaube wird angenommen, empfangen, im Tuch dargestellt als Wege nach innen durch drei Lichtstrahlen. Drei weitere Strahlen symbolisieren den Weg nach aussen und zielen auf die Werke der Barmherzigkeit. Die Werke geben die Antwort auf den Glauben. Das ganze Meditationsbild erhält so eine vernetzte Struktur. Statt der Strahlen (radioli) würden wir heute Pfeile zeichnen.
  
Im Burgundischen Reich verbreitete sich die aus dem niederländischen Deventer stammende Spiritualität namens «Devotio Moderna» im 15. Jahrhundert sehr rasch, erreichte bald einmal auch Basel und erhielt dort eine wichtige Bedeutung bei den Augustiner Orden (Chorherren und Eremiten). Doch daran schieden sich die Geister, die Bevölkerung der Stadt war in den Ansichten jahrelang gespalten; ja sogar in manchen Familien stritt man sich darüber. Um das Augustiner-Stift St. Leonhard begannen fromme Laien karitative Bruderschaften zu gründen. Die Dominikanerschwestern im Klingental (Kleinbasel) wollten da nicht zurückstehen und übten sich eifrig in karitativen Werken, sie teilten ihren geistigen und materiellen Reichtum mit den Armen und Bedürftigen. Diese «moderne» Emanzipation gefiel den Predigern (Dominikanerbrüder) in Basel gar nicht, sie wollten eine verschärfende Reform einführen (vgl. Quelle 025): Die Schwestern gehörten ihrer Ansicht nach in die Klausur und hätten auf der Strasse nichts zu suchen. Der Vorwurf der Verweltlichung, der noch bisweilen heute nachhallt, ist jedenfalls in negativer Hinsicht nicht berechtigt, es geht vielmehr um eine andere Form der Nachfolge Christi. So kam es schliesslich zum heftigen Konflikt, in dem die Brüder die Schwestern aus dem Kloster vertrieben. Aber diese konnten nach dem Urteil eines österreichisch-eidgenössischen Schiedsgerichts (einer der Richter war Hans von Flüe, Sohn von Bruder Klaus) wieder zurückkehren und wandten sich nun ganz der neuen augustinischen Spiritualität zu, der «Devotio Moderna». Im ganzen Streit ging es eigentlich nur um dieses Thema.
  
Die Entstehung des Meditationstuches wurzelt also kaum in der alten, eher weltabgewandten Mystik sondern im aktiven Teilnehmen des Christen im aktuellen Leben der Mitmenschen, in der Aktualisierung des Evangeliums. Unter den Laienanhängern der Devotio Moderna in Basel befanden sich Handwerker und Kaufleute. Der Kaufmann und Diplomat Hans Irmi der Jüngere war zudem dem Burgunder Herzog Karl dem Kühnen sehr verbunden. 1469 mussten Stadt und Bistum Basel der burgundischen Protektion unterstellt werden, als der bisherige Schutzherr, Herzog Sigmund von Österreich, seine westlichen Besitztümer im Elsass und im Breisgau an den Burgunder Herzog, Karl den Kühnen, verpfänden musste. Eine gute Gelegenheit, dem neuen Schutzherrn einen «Fürstenspiegel» als Geschenk vor Augen zu halten, was ihn immer daran erinnern sollte, wie er sich als Ebenbild Gottes zu verhalten habe.
  
Die Devotio Moderna (DM) wird aber bisweilen komplett falsch beurteilt, die Tatsachen werden verdreht. Hier noch als Zitat ein Satz aus einem Buch über Bruder Klaus (von Roland Gröbli): «Während die Mystik mehr die Göttlichkeit des Menschen erkennt, betont die Devotio Moderna die Verlorenheit und Sündhaftigkeit des Menschen in der Welt.» Diese Interpretation ist völlig falsch. Denn, die Werke der Barmherzigkeit bei der DM zeigen klar und deutlich, dass die armen, verlorenen und sündhaften Menschen nicht ausgegrenzt sondern abgeholt werden, dass man sich um sie kümmert. Ein solcher sozialer Gedanke fehlte hingegen bei der alten und eher egozentrischen, narzisstischen Mystik. – Ohne die Herkunft des gemalten Tuches zu kennen, hat der Autor des «Pilgertraktat» (Quelle 048) die Botschaft des Bildes sehr gut verstanden. Zudem wird dort in den Holzschnitten zu den sozialen Werken immer eine barmherzig handelnde Begine (Schwester der DM) dargestellt, die sich von Jesus unterweisen lässt (Mt 25). Die «Göttlichkeit» des Menschen ist in den monotheistischen Religionen kein Thema, ausser bei narzisstischen Sekten, dafür aber umso mehr die «Gott-Ebenbildlichkeit», was nicht dasselbe ist. – Die Devotio Moderna führte zu einem nachhaltigen sozialen Gesinnungswandel im deutschsprachigen Raum.
  
Die Devotio Moderna (DM) hatte im 15. Jahrhundert in mehreren Chorherren-Stiften des deutsprachigen Raumes nicht nur das geistige Leben sondern auch das soziale wirtschaftliche Verhalten nachhaltig beeinflusst. Bauern, die bisher den Status von Untertanen hatten, wurden in die Freiheit entlassen, durften ihren Hof vererben, mussten dafür aber an das Stift Zins in Form von Naturalien abliefern. Dies geschah auch zum Beispiel mit den Besitzern des Kelnhof in Hegi (bei Winterthur). Diese und ihre Vorfahren hatten bisher nur einen Vornamen aber keinen Familiennamen. Das änderte sich nun, die Familie hiess fortan «Huober» (hůber bedeutet: Erblehenbauer). Das waren die Vorfahren des Autors dieser Kolumne; er verdankt seinen Nachnahmen eigentlich der DM. Sie lieferten bis 1524, bis zur Säkularisation nach der Reformation, ihren Zehnten (Zins) an das Stift Embrach ab, nachher dem Vogt der Stadt Zürich. – Untergebene ohne Erbberechtigung waren auch die Verwalter grösserer Höfe der Klöster und Stifte. Der Name dieses Berufstandes war «Keller» oder «Kellner» (entsprechend dem lateinischen «cellerarius» und «cellenarius»). Darauf deutet denn auch die Bezeichnung «Kelnhof» hin. Aus dem bloss angestellten Verwalter wurde ein selbständiger Erblehenbauer, ein «hůber».
  
Das Meditationstuch und die Devotio Moderna …
  
  
Das natürliche, lebensnotwendige Gas Kohlendioxyd ist biologisch abbaubar, zusammen mit Wasser umgewandelt in Zucker und Sauerstoff (Photosynthese der Pflanzen), auf keinen Fall aber in einer Geldwaschanlage, mit Abgaben und Zertifikaten. Mit Geld kann man nicht alles erreichen, im Gegenteil solange Geldgier und Grössenwahn immer noch stärker das Zusammenleben der Menschen auf Erden bestimmen, wird nichts besser, vielmehr schreitet die Zerstörung voran.
  
In einem Traum des Bauern Niklaus von Flüe – Brunnenvision – wird eine Konfrontation aufgezeigt zwischen den natürlichen, inneren Werten und dem bloss virtuell materiellen Wert des Geldes. Die geistigen Nachfahren einer 2500 Jahre alten Sekte aus Süditalien behaupten, heute mehr denn je: Wer die Zahl hat, kann die Welt beherrschen. Es wird sich jedoch irgendwann zeigen, dass diese Behauptung falsch ist. Die alles beherrschen sollende Zahl ist das Geld.
  
Der Bauer und spätere Eremit, Bruder Klaus, erlebte den Traum im 15. Jahrhundert. Und wie ging es in den folgenden Jahrhunderten weiter? Was geschieht mit den Menschen, welche mit diesem Wahnwitz heute nicht mehr Schritt halten können? Heute im 21. Jahrhundert? Kann die Erde die Armen noch ernähren? Eins ist jedenfalls sicher: Ohne Gerechtigkeit kann es keinen Frieden geben.
  
Das «globale» Denken ist in der Praxis oft nur eine Lüge. Die Zeiten sind allmählich vorbei, in denen die Reichen in Europa mit ihren protzigen Betonwüsten meinen, sie könnten die Nahrungsmittel einfach so importieren. Und wieviele fruchtbare Böden sind da zu Golfplätzen umgepflügt worden, und die Reichen meinen dann, man könne andere Ackerflächen nutzen, um den Sprit zu produzieren, mit dem sie sinnlos herumrasen können. Bei solchen Misständen muss man sich bald einmal vor unschönen Folgen nicht wundern.
  
  
Niklaus von Flüe, dem Eremiten und Friedensstifter Bruder Klaus war eine Binsenwahrheit sicher nicht entgangen: Ohne Gerechtigkeit kann es keinen Frieden geben. Friede und Gerechtigkeit gehören eng zusammen, so wie es in einem Psalm heisst: «Gerechtigkeit und Friede küssen sich ...» (Ps 85,11). Wenn der Einsiedler die Menschen mahnt, sie sollen aufeinander hören (Brief an den Rat von Bern 1482, Quelle 031), so meint er damit gewiss kein einseitiges oder oberflächliches Nachplappern von Parolen oder eine blinde Gefolgschaft gegenüber kleinen oder grossen Diktatoren, in der Einzahl oder als Mob. Es geht nicht an, dass der Mächtige den Frieden einfach nach seinen Vorstellungen diktiert oder dass er den Frieden predigt und Unfrieden praktiziert. Die Forderung des Klaus von Flüe meint: Miteinander eine gerechte Lösung der Probleme finden. Ausdrücklich legt er auch nahe: «Witwen und Waisen in Schutz nehmen», d. h. es darf den Armen das Lebensnotwendige nicht vorenthalten werden und selbstverständlich auch nicht die Würde des Menschseins. Und wahr ist zudem: Um Frieden zu schaffen, genügen die schönsten Worte nicht, es braucht mutige Taten. Aber wer hat denn den Mut dazu, wenn es darauf ankommt? Ist denn Frieden überhaupt möglich?
  
  
Der 27. April 1469 war ein besonderer Tag im Ranft beim Einsiedler Niklaus von Flüe. In späteren Berichten ist dann immer die Rede von der Einweihung der Kapelle, wo beiläufig noch eine «Bischöfliche Prüfung» des Eremiten stattfand. Die Prioritäten dürften wohl anders herum wahr sein. Der Sachverhalt wurde später zu sehr verharmlost, denn es handelte sich zweifellos um eine «Inquisition», die hier sogar nicht unblutig verlief. Der Gedanke daran konnte bereits damals Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Das Geschehen des 30. Mai 1431 entsetzte noch lange die Menschen, an dem Jeanne d’Arc nach einer perfiden Inquisition in Rouen auf dem Scheiterhaufen als Ketzerin verbrannt wurde.
  
Auf der Liste der Anwesenden im Ranft figuriert auch Adrian von Bubenberg (Freiherr von Spiez, geboren um 1434), Ritter und Schultheiss von Bern, aus dem Bistum Lausanne. Seine Amtszeit endete allerdings an Ostern, 2. April, von da an war er nur noch Ratsherr der Stadt. Aber er war befreundet mit Klaus von Flüe, aus der Zeit als dieser noch Ratsherr von Obwalden war und Mitglied von eidgenössischen Schiedsgerichten. Bubenberg kam jedoch bestimmt nicht einfach bloss als Ehrengast zur Einweihung der Kapelle, sondern vielmehr als schützender Beistand des Freundes bei dessen Inquisition durch den Konstanzer Generalvikar und Weihbischof, Thomas Weldner. Als der Berner vorab vom Besuch des Weihbischofs hörte, war er wohl ziemlich erschrocken und ritt spontan über den Brünigpass zu Bruder Klaus. Er sah seinen Freund in Gefahr und war entschlossen, ihm mit allen Mitteln zu helfen.
  
Eine Münchener Handschrift um 1500 schildert den Vorfall ziemlich drastisch (Quelle 069). Offensichtlich fühlte sich der Weihbischof bei seiner inquisitorischen Amtshandlung bedroht. Weil bei der Prüfung der Eremit fast erstickt wäre und Blut aus dessen Mund floss, fielen harte Worte. Wer von den Anwesenden könnte diese wohl am ehesten ausgesprochen haben? Wahrscheinlich eben doch Adrian von Bubenberg, der wohl bewaffnet daherkam und in Begleitung mindestens eines Knechtes. Der Weihbischof brach die Prozedur sofort ab und erklärte, dass er dies alles nicht von sich aus tue sondern auf Anordnung seines Vorgesetzten, des Bischofs von Konstanz. Dass der Vorfall nach Rom gemeldet worden war, ist anzunehmen. Am 18. April 1470 unterzeichneten 16 Kardinäle einen Ablassbrief für die Ranftkapelle (Quelle 075). Einer von ihnen war der Kardinalpriester von San Pietro in Vincula, Francesco della Rovere, der am 9. August 1471 als Sixtus IV. Papst wurde. Zweifellos ist anzunehmen, dass diese Kardinäle bestens über Details der Ereignisse des 27. April 1469 informiert waren. Jedenfalls wurde nach dem Tod des Freiherrn von Spiez – er starb 1479 und wurde im Berner Münster bestattet – durch den aposostolischen Protonotar Nicolao Garriliati den Bernern eröffnet, dass Adrian von Bubenberg exkommuziert worden sei, was ihm deswegen eine ehrenvolle Bestattung nachträglich verwehrte. Das hätte bedeutet: Der Leichnam hätte im Berner Münster exhumiert und draussen den Hunden zum Frass vorgeworfen werden (wie es wörtlich 1481 in einem Brief der Stadt Bern an Sixtus IV. heisst). Ein Skandal. Die Berner waren empört. Und wie dachte wohl Bruder Klaus darüber? – Zu dieser Zeit war Sixtus IV. Papst, und sein Neffe Giuliano della Rovere (der spätere Papst Julius II., 1471–76 zudem Bischof von Lausanne) war Kardinal Grosspoenitentiar. – Der Rat der Stadt Bern lehnte dieses Ansinnen ab. Wann aber kam es zur Exkommunikation? Der Zeitpunkt wird an sich (per se, eo ipso) durch die Tat selbst definiert.
  
Auch Adrian von Bubenberg war eigentlich ein Friedensstifter, so wie sein Freund im Ranft. «Wo Gott nit ist, da mag kein guet end nierner gesin.» (Ohne Gott kann es nie etwas Gutes geben.), lautete sein Grundsatz, nach dem er lebte. Und der Gleichgesinnte im Ranft kann das noch ergänzen: «… denn Gott ist der Friede.»
  
Bis 28. September 2008 können wir übrigens im Schloss Spiez die Sonderausstellung besuchen: «Adrian von Bubenberg 1434–1479, Ritter und Staatsmann» (
• Link).
  
  
Ein Historiker ist gewissermassen ein Detektiv der Vergangenheit. Er muss Hinweisen nach gehen, Beweise in reale Zusammenhänge bringen; er muss aber auch nach den Motiven fragen: Warum taten Menschen etwas so und nicht anders. Er sollte versuchen, sich wie ein Profiler in das Denken und Fühlen der historischen Personen hineinzuversetzen. – Manch­mal kann es auch sein, dass ein Beweisstück sehr lange nicht genügend beachtet worden ist.
  
  
Als Niklaus von Flüe alle politischen Ämter aufgab und am Freitag, dem 16. Oktober 1467 auch seine «Welt», Familie und Hof, verliess, verlor er keineswegs sein herausragendes Gespür für Ethik und Politik. Im Gegenteil, wie sich Jahre später zeigen sollte, vergrösserte sich durch den äusseren Abstand die politische Weitsicht sogar. Wer aber unter den eidgenössischen Führern könnte dies wohl als erster erkannt haben.
  
Durch das Aufgeben des bisherigen Lebens war er in den Augen seiner Landsleute in Obwalden zunächst einmal ein Sonderling, ja in den Augen mancher sogar ein «Spinner». Für seine Verhaltensweise hatte kaum jemand Verständnis. Seine Ehefrau Dorothea konnte ihren Klaus auch nur zum Teil verstehen. Was er aber draussen für die Gemeinschaft der Menschen zu sagen hatte, wer konnte das zunächst ahnen?
  
Am 27. April 1469 war der Berner Ritter und Ratsherr Adrian von Bubenberg in den Ranft gekommen, als schützender Beistand für die Inquisition durch den Konstanzer Generalvikar, Weihbischof Thomas Weldner (Quelle 004). Der Berner Magistrat war wohl nicht zum letzten Mal bei Bruder Klaus im Ranft. Es scheint nun als sicher, dass er von Anfang an Verständnis hatte für die neue Lebensweise des Klaus von Flüe, mit dem er offensichtlich befreundet war. Wertschätzung und Einfluss in Fragen der Ethik und der Politik waren gegenseitig.
  
Welche Ansicht hatte Bruder Klaus zu den Burgunderkriegen? Darüber wurde kaum etwas Gesichertes schriftlich festgehalten. Adrian von Bubenberg hingegen wollte unbedingt verhindern, dass seine Heimatstadt dem Drängen des Königs von Frankreich nachgab und einen Krieg vom Zaune riss; er setzte lange Zeit auf eine diplomatische Lösung des westeuropäischen Konflikts. Vergeblich, er wurde sogar wegen seiner Haltung aus dem Berner Rat ausgeschlossen. Trotzdem, seine Bemühungen um eine Friedenspolitik waren enorm und den Gedanken nach kaum anders als das Denken des ehemaligen Ratsherrn und Oberst Niklaus von Flüe. Beide waren Friedensstifter und das sollte sich besonders in den kommenden Jahren zeigen, als die Eidgenossenschaft der Acht Orte in einer Krise war (1477–81), beide waren in dieser Materie Gleichgesinnte.
  
Zweifellos fiel in den Tagsatzungen, in denen Adrian von Bubenberg als Gesandter Berns teilnahm, auch ab und zu der Name «Klaus von Flüe». Bubenberg setzte stets auf Versöhnung, so im Amstalden-Handel (Quelle 014) und besonders an der Tagsatzung von Zürich am 8. Januar 1478. Auf vielen diplomatischen Reisen in ganz Europa, war Bruder Klaus ein unsichtbarer Begleiter, dessen Ansehen er überall zu mehren half. Adrian von Bubenberg starb im August 1479. Hatte nun aber sein Denken und Handeln nicht eine Wirkung über seinen Tod hinaus?
  
In der völlig zerstrittenen und ausweglosen Lage am 22. Dezember 1481 in der Tagsatzung von Stans kam es plötzlich zu einem guten Ende, als der dortige Pfarrer Heimo Amgrund eine «geheime» Botschaft von Bruder Klaus an die Gesandten überbrachte. Wahrscheinlich waren es nur wenige Worte, sicher jedoch keine hohlen Sprüche. Die Worte wirkten sehr drastisch. Beschwor der Eremit im Ranft etwa das Andenken des Helden von Murten, des kürzlich verstorbenen Ritters Adrian von Bubenberg? Die Gesandten hätten sich diese herausragende Gestalt der Geschichte, die Integrationsfigur der Eidgenossen schlechthin, nun sehr gut «leibhaftig» vorstellen können, als ob der Berner Ritter eben gerade in ihrer Mitte weilte und zu ihnen wieder auf Versöhnung drängende Worte spräche. Finden wir beim Stanser Verkommnis nicht eigentlich das gemeinsame Werk zweier Friedenstifter?
  
  
Am Freitag, 16. Oktober 1467, verliess Klaus von Flüe seine Familie, seinen Hof, seine Heimat.
  
Zum Stichwort «Landammann»: Auf einer anderen Website über Bruder Klaus heisst es: «Das höchste Amt im Lande, die Würde des Land­am­manns, trug er nie. Er [Es] gibt keine verlässlichen Quellen, dass es ihm an­ge­boten wurde, er es aber abgelehnt habe.» – Stimmt diese Behaup­tung?
  
Im Sachsler Kirchenbuch (Quelle 053 – Zeugenbefragung 1488) ist eine Aussage des Jugendfreundes Erny Rohrer schriftlich festgehalten worden: «Besonders habe er alles daran gesetzt, dass er [Niklaus von Flüe] nicht Landammann wurde. Denn dies wäre er sonst tatsächlich auch gewor­den.» – Wie ist das nun zu verstehen?
  
Dass das Amt des Landammanns Klaus von Flüe angeboten worden sei, finden wir später auch in den Prozessakten von 1654 (Quelle 307 sowie Quelle 073), in der Aussage eines Nachfahren des Eremiten, Jakob von Flüe – allerdings ist der hier detailliert beschriebene Sachverhalt nur mündlich überliefert. Wegen Korruption unter seinen Amtskollegen in Regierung und Rechtsprechung – als Schlüsselereignis wird ein Fehlurteil in Bezug auf ein Grundstück erwähnt, – habe Klaus von Flüe alle Ämter aufgegeben, auch das angebotene Amt des Landammanns.
  
Klausens Verhalten im Jahre 1467 hatte zur Folge, dass viele Landsleute in Obwalden ihn für längere Zeit – bis 1481 – nicht mehr ernst nahmen. Trotz Warnungen von Bruder Klaus – sich nicht in fremde Händel einzu­mischen und den Zaun nicht zu weit zu machen – waren 1478 besonders zwei Ratsherren in den Amstalden-Handel verwickelt, Heinrich Bürgler und Hans Küenegger (Quelle 014), was über Jahre hinaus zu grossen Spannungen mit dem Nachbarn Luzern führte.
  
Wie zuverlässig die Schilderung Jakobs von Flüe auch sein mag, die weit­aus ältere, zeitgenössische Aussage von Erny Rohrer 1488 ist zweifellos als glaubwürdig einzustufen.
  
Wie heute noch manchenorts Schultheissen und Landammänner aus dem Kreis der Regierungsmitglieder turnusgemäss wechseln, so war es auch damals in Unterwalden ob dem Kernwald. Jedes Mitglied war im Grunde genommen befähigt, die Regierung zu präsidieren. Jedes konnte sich aber auch die Freiheit nehmen und jeweils – auch mehrmals – einen Verzicht erklären. Dann ging der Turnus an den nächsten Kollegen weiter. Möglich war auch, dass alle nachrückenden Ratsmitglieder verzichteten, so dass der bisherige Amtsinhaber weiter in seiner Funktion verblieb. – Das Amt des Landammanns musste also hier nicht speziell angeboten werden, es bot sich durch die Ordnung von selbst an usw. – Erny Rohrer im Sachsler Kirchenbuch …
  
  
1481, am Tag nach St. Thomas, das ist der 22. Dezember, konnten sich die Gesandten der Acht nach monatelangem Verhandeln endlich einigen. Die Geschichtsschreibung nennt das Ereignis: «Stanser Verkommnis». Wie war dies möglich? Waren die Delegierten des Streitens müde geworden, weil Weihnachten nahe war, mit der Friedensbotschaft? Wollten die Gesandten rechtzeitig zu Hause sein für die Festtage? Das wäre zu einfach.
  
Gemäss offiziellen und halboffiziellen Quellen, soll der Pfarrer von Stans, Heimo Amgrund, Nachts in den Ranft geeilt sein und ein paar Worte von Bruder Klaus zurückgebracht haben. Was der Eremit sagte, war nur für die Abgeordneten bestimmt, die Öffentlichkeit durfte es nicht erfahren (Quelle 024). Trotzdem meinten später «Schlaumeier», sie wüssten es genau: «Machet den Zaun nicht zu weit.» (Hans Salat 1536, Quelle 233) und «Mischt Euch nicht in fremde Händel». Doch leider passen diese Sprüche überhaupt nicht in den Kontext, sie sind keineswegs authentisch. Wenn der Einsiedler Klaus von Flüe je etwas Derartiges gesagt haben sollte, dann waren Situation und Adressaten wohl andere.
  
In Bezug auf den zeitgeschichtlichen Kontext wird meistens etwas sehr Wichtiges vergessen, den damaligen Konfliktfaktor (stressor) Nummer 1, den «Amstalden Handel» (Quelle 014). Er betraf die Orte Luzern und Unterwalden, davon besonders Obwalden. Das Entlebuch sollte sich von Luzern ablösen und als dritter Teil Unterwalden beitreten.
  
Luzern sandte mehrmals Boten in den Ranft. Am 31. März 1481 reiste sogar der Schultheiss Ferren selbst dorthin (Quelle 013). Um was es da im Wortlaut ging, wird nicht überliefert. Anzunehmen ist allerdings ein Zusammenhang mit dem immer noch schwelenden Konflikt, wo Bruder Klaus gebeten wurde, seinen Landsleuten ins Gewissen zu reden. Aber die Obwaldner hörten seit 1467 nicht mehr auf den Rat des Einsiedlers, sie nahmen ihn nicht ernst. Gerade die Obwaldner, die Landsleute von Bruder Klaus, sollten sich eben nicht in fremde Händel einmischen und den «Zaun» (die Grenze) Unterwaldens nicht weiter machen. Das betraf jedenfalls die Lage im Sommer 1478 und auch noch danach.
  
Am 24. August 1478, nachdem die Putschpläne von Peter Amstalden aus Schüpfheim aufgedeckt worden waren, wurde der ehemalige Hauptmann der Entlebucher Truppen in der Schlacht von Grandson in Luzern verhaftet, im Schnellverfahren verurteilt und hingerichtet. Wie sollte es für die Bewohner des Tales weitergehen? Adrian von Bubenberg aus Bern half mit, eine Versöhnung herbeizuführen. Dabei geriet der Berner Schultheiss selbst in Verdacht, mit den Obwaldnern zu konspirieren und den Aufstand der Entlebucher zu unterstützen, weil Amstalden unter der Folter eine diesbezügliche Aussage machte. Diese erwies sich jedoch als falsch und wurde offensichtlich von politischen Gegenspielern erzwungen – von Anhängern Frankreichs, allen voran von Kaspar von Hertenstein (Ritter des Königs von Frankreich). Das führte zu länger dauernden Spannungen zwischen den im Burgrecht verbundenen Städten, Luzern und Bern.
  
Die Entlebucher bekamen nach der Hinrichtung Amstaldens mit einer Harnischschau in Luzern die Gelegenheit, ihre Loyalität unter Beweis zu stellen; ihre Ehre wurde so wieder hergestellt. Das Verhältnis zum unfriedlichen Nachbarn im Süden war für Luzern jedoch überhaupt noch nicht geklärt. Das war auch der Grund dafür, dass sich die Luzerner Ratsherren – allen voran Kaspar von Hertenstein (Schlossherr von Buonas am Zugersee) – als Hardliner in Sachen «Burgrecht» hervortaten. Das Burgrecht zwischen den Städten, war ein schwerwiegendes Hindernis für die Einigung zu einem neuen Bündnisvertrag der acht alten Orte und der neuen beitrittswilligen Städte Freiburg und Solothurn. Das Burgrecht sollte die Städte vor gewaltsamen Übergriffen der Innerschweizer Landorte schützen, konnte aber seinerseits selbst wieder als unfriedliches Verhalten gelten. Der erste Städteort, der auf das Burgrecht verzichten würde, könnte an der Tagsatzung in Stans im Dezember 1481 lawinenartig einen Meinungsumschwung herbeiführen. Allerdings war dafür ein Gegengewicht notwendig: Die Erklärung Aller, sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Anderen einzumischen und deren Grenzen anzuerkennen. Diesbezügliche Differenzen müssten je in der eidgenössischen Tagsatzung verhandelt werden.
  
Die Einigung, das «Stanser Verkommnis», kam zustande, der «kalte Krieg» zwischen Luzern und Obwalden war damit allerdings noch nicht beendet. Den beiden Ratsherren, Heinrich Bürgler und Hans Küenegger war es untersagt, die Stadt Luzern zu betreten (Quelle 051). Letzterer hielt sich zweimal nicht an das Verbot. Beim ersten Mal liessen die Luzerner Gnade vor Recht ergehen, das zweite Mal, 1490, als er mit Unterwaldner Truppen in Richtung St. Gallen ziehen und durch die Stadt Luzern marschieren wollte, verursachte er einen Volksauflauf. Der Obwaldner Bannerherr, Hans Küenegger, wurde verhaftet und nicht mehr frei gelassen.
  
Warum nun diese Geheimnistuerei am 21./22. Dezember 1481 seitens des Eremiten im Ranft? Wollte er bloss von seiner Person ablenken? Er hätte damit das Gegenteil erreicht. Irgendwelche theatralischen Aussprüche können es nicht gewesen sein. Und so gross war seine Autorität zu jenem Zeitpunkt auch wieder nicht. Vermutlich hätten seine Worte kompromittierend wirken können, die breite Öffentlichkeit hätte sie gerade in jener Zeit nicht verstehen können. Der Einsiedler wollte einfach nur vorsichtig sein. Wies demnach Bruder Klaus auf die Autorität eines anderen Friedenstifters hin, auf die eben vor Monaten (August 1479) verstorbene eidgenössischen Integrationsfigur schlechthin: Adrian von Bubenberg? – Sicher ist jedenfalls, dass sich Klaus von Flüe und Ritter Adrian von Bubenberg gut kannten und dass, wie es scheint, die Bereitschaft dem Einsiedler bei der Inquisition durch den Konstanzer Generalvikar zu helfen, für den Berner Ritter unangenehme Folgen hatte (Garriliati-Affäre, siehe Quelle 004). Was hätte der Berner Ratsherr zu den nie endenden Verhandlungen über den neuen Bündnisvertrag in Stans zu sagen gehabt? Wenn Bern – einer der Gesandten war Rudolf von Erlach – jedenfalls als erste Stadt auf das Burgrecht verzichten würde, käme ein schneller Meinungsumschwung in Gang.
  
  
Die Natur, die Schöpfung, kann mit Hilfe der Evolution Stein in «Brot» verwandeln, in Nahrung für alle Lebewesen. Aber der Mensch hat anscheinend eine andere Priorität mit der geradezu entgegen gesetzten Tendenz. Er bringt es fertig, «Brot» in Stein zu verwandeln. Geld hat in allem den Vorrang, mit der Meinung, irgendwo in der Welt lasse sich dann schon noch Nahrung kaufen. Was jedoch, wenn alle so denken würden? - Grünflächen überbauen, das sollen die Anderen nicht tun, aber wir dürfen das grenzenlos, beziehungsweise bis alles in Betonwüste verwandelt ist. Sicher, eigentlich gäbe es überall, etwa in der Schweiz, Zonenpläne. Aber sind diese nicht bloss Alibis? Sie lassen sich ja jederzeit ändern, an Gemeindeversammlungen gibt es fast immer eine Mehrheit derer, die Zonenänderungen zuwinken. Sogar sehr reiche Katholische Kirchgemeinden in der Innerschweiz verstehen sich auf diese «Stein-Kunst».
  
Der Wahn steigert sich dann nochmals, da wird Geld durch globale Transact-Beschleuniger gejagt (gleichsam wie durch einen Large Hadron Collider), durch dubiose, finstere Kanäle, mit der Absicht, es millionenfach zu vermehren. Das Geld arbeitet. Welch ein Bild! Was Wunders, wenn dann aber plötzlich riesige Schwarze Löcher auftreten, welche die scheinbaren Werte in nichts auflösen! Da könnnen noch Billionen von Dollars hineingeworfen werden, sie werden vom Nichts verschlungen, nihiliert.
  
In der Brunnenvision des Eremiten Bruder Klaus finden wir eine völlig andere Rangordnung der Werte. Eine Hilfe für uns, um uns neu zu orientieren? Vielleicht. Vielleicht lassen sich aber die Menschen auch nicht eines besseren belehren. Heute, wie vor 2500 Jahren gibt es Leute die meinen: «Wer die Zahl hat, kann die Welt beherrschen.» Und was bleibt da dem Rest von uns – zu glauben? – «Ein Ring sie zu knechten, sie alle zu finden. Ins Dunkle zu treiben, und ewig zu binden.» (J. R. R. Tolkien)
Doch, hoffen wir, dass es am Ende Anders kommt.
  
  
In alten Zeiten gab es einmal einen Brauch: Immer wenn ein Kind geboren wurde, pflanzte der Vater vor dem Haus ein Bäumchen. Diesen Brauch gibt es zwar wieder, aber leider völlig verdreht, pervers und schwachsinnig. Jetzt muss jeweils im Wald möglichst die höchste Tanne gefällt werden, und die wird dann im Garten mit Brettern gestützt wieder «aufgerichtet». Nun, ein lebender Baum symbolisiert irgendwie treffend das Leben. Doch was symbolisiert denn ein toter Baum? Wer solchen Unsinn aus Aberglauben tut, der kann es eigentlich ruhig bleiben lassen, denn es würde ja genau genommen für das Kind eher Unglück und Tod bedeuten.
  
Das Geld wäre eigentlich eine gute Sache, wenn man es im Mass gebrauchen würde. Der Sinn im Abendland war ja einmal, dass so der Naturalien-Tausch-Handel ersetzt wird. Der Übergang fand da im 15. Jahrhundert statt, also zu Lebzeiten von Bruder Klaus. In der Geschichte der Menschheit finden wir aber auch noch eine ältere Idee (ca. 2500 v. Chr.): Die Bauern in Mesopotamien, wo der Ackerbau erfunden wurde, versprachen dem Tempel in Uruk (in der Bibel: Erech, Gen 1.10) einen bestimmten Teil der Ernte, wenn diese fruchtbar sein werde. Das Versprechen wurde auf Tontäfelchen geschrieben, es waren geradezu Schuld-Täfelchen, gleichsam das erste Geld, die ersten «Derivate» (weil von einer Bedingung abhängig).
  
Das Geld ist aber schon längst weltweit zu einer Geisteskrankheit verkommen, zu einem paranoiden System, in das die Menschen sich immer tiefer verstrickt haben und aus dem sie kaum mehr herauskommen können, ohne dass anscheinend eine grosse Katastrophe ausbrechen würde. Die Geldgier ist eine Sucht, der mit ethischen Überlegungen nicht mehr beizukommen ist. Seltsamer Höhepunkt ist manchenorts die leitende Idee, dass je mehr Grünflächen überbaut werden, desto besser die Wirtschaft floriere, oder anders gesagt: je mehr fruchtbare Äcker zubetoniert werden, desto mehr sich so das Geld vermehre. Dass das Grün der Pflanzen darüber hinaus auch Kohlendioxyd (CO2) abbauen und in Sauerstoff und Nahrung verwandelt, wird kurzerhand ignoriert. Paranoide Menschen wollen die Wahrheit nicht sehen, sie sind blind und verstockten Herzens, wie es die Bibel sagt. Gier, Blindheit und Verstocktheit erzeugen aber letztlich nicht Leben sondern Tod.
  
Nicht dass da die Kirchenverwaltungen der verschiedenen Konfessionen völlig unschuldig wären, auch sie sind vielenorts in den Wahnwitz tief verstrickt. Wie sollen sie denn das überschüssige Geld anlegen? Möglichst reichlich soll es sich vermehren. Auch da haben sich jüngst so manche verzockt, und das Geld ist zum Teil weg. – Vielleicht befinden sich die reichsten Kirchgemeinden in der Schweiz, im Kanton Zug. Diese können doch nicht zurückstehen und verbauen auch wild und unvernünftig Grünflächen. Auch sie verstehen die Kunst, wie man «Brot» in Stein verwandelt. Eine Kirchgemeinde baut da nicht einmal sozial günstige Wohnungen, nein, 16 Einfamilienhäuser an schönster Lage, nahe am See, müssen her. Dabei gibt es in der Schweiz sogar Theologen, die nirgendwo Arbeit finden können und von der Sozialhilfe leben, um das Lebensnotwendige zu bekommen. Aber die Kirche lässt sie im Stich, gibt ihnen keinen Cent, geschweige denn eine Arbeit, um sich selbstständig ernähren zu können, und schiebt die Verantwortung ab auf die Gemeinden. Ist das nicht ein Skandal? Verbreitet da die Kirche nicht Fluch statt Segen, nährt sie nicht den Tod statt das Leben – trotz mancherlei Alibiübungen, Aktionen zur Vermehrung des Geldes, um sich mit ihren Wohltaten zu brüsten.
  
Tod und Leben, Reichtum und Armut, diese Gegensätze, die auch anders konjugiert genannt werden können, bilden das eigentliche Thema in der Brunnenvision des Eremiten Klaus von Flüe. Der Wahn von der Geldvermehrung, draussen auf dem Markt, bringt keinen echten Reichtum, vielmehr sind und bleiben die Menschen stets arm. Das Leben fliesst und pulsiert aber in der Welt der Inneren Werte. Die Geisteskrankheit namens «Geldgier» behindert das wahre Leben nicht nur sondern wirkt überall zerstörend – Verantwortliche in den Kirchen ganz und gar nicht ausgenommen. Vielleicht gibt es ja doch noch Hoffnung, und manch einer meditiert ein wenig über die Bedeutung dieser Vision von Bruder Klaus, wo es schliesslich um Leben und Tod geht.
  
  
1481, kurz vor Weihnachten (Samstag, 22. Dezember), konnten sich die Gesandten der Acht Ort der Eidgenossen nach monatelangem Ringen in der Tagsatzung in Stans endlich auf einen neuen Bündnisvertrag und die Aufnahme Freiburgs und Solothurns in den Bund einigen. Dass es beim Ausbleiben der Einigung zu einem «Bürgerkrieg» gekommen wäre, ist absolut übertrieben, eher wären die Orte ohne Zusammenhalt einfach nur ihre eigenen Wege gegangen. Einen noch nicht ganz überwundenen Konflikt gab es allerdings bereits, den eigentlichen Stressor für den Streit. Zürich und Bern waren nicht so sehr auf das Burgrecht angewiesen, wie die dritte Stadt im Bund, Luzern (Zug war nicht am Burgrecht interessiert). Zwischen Luzern und Unterwalden (insbesondere Obwalden) war der Amstalden Handel von 1478 (Quelle 014) immer noch eine Belastung. Besonders zwei Ratsherren aus Obwalden, Heinrich Bürgler und Hans Küenegger (vgl. Quelle 051) waren involviert, den Entlebuchern bei ihrem Aufstand gegen Luzern zu helfen und den «Zaun» Unterwaldens weiter zu machen um dieses Tal der Kleinen Emme.
  
Das Stanser Verkommnis (Abkommen) vom 22. Dezember 1481 sollte nicht ohne den zeitgeschichtlichen Hintergrund betrachtet werden. Knapp ein Jahr zuvor diffamierte der apostolische Protonotar (bzw. Abbreviator), Nicolao Garriliati, den erst im August 1479 verstorbenen Berner Ritter und Ratsherrn, Adrian von Bubenberg. Anscheinend soll dieser zu Lebzeiten exkommuniziert worden sein. Das war in der Öffentlichkeit nicht bekannt, und der Grund, die Ursache dafür wurde auch jetzt nicht bekannt gegeben. Höchstwahrscheinlich war da schon etwas gewesen, was automatisch durch die Tat eine solche Strafe hätte nach sich ziehen können. Ein Kirchenbann war es jedenfalls nicht, es fehlt jeglicher Hinweis auf eine entsprechende Bulle des Papstes. Der Kurienbeamte benutzte nun die Anschuldigung als fiesen Trick, um an die Pfründe des Priorats Rüeggisberg heranzukommen (Quelle 004). Im Kleinen Rat Berns, der den Anspruch vorerst ablehnte, war hierfür Rudolf von Erlach in besonderer Weise zuständig, zeitweise Kastvogt des Klosters. Er stand dem verstorbenen Adrian von Bubenberg sehr nahe. Rudolf von Erlach war in den Tagsatzungen, die sich mit dem neuen Bündnisvertrag befassten, Mitglied in der Delegation Berns.
  
Es ist in mehreren Quellen die Rede davon, dass Bruder Klaus zur Einigung etwas beitragen konnte. Diepold Schilling, Sohn des damaligen Schreibers von Luzern, erwähnt mit Nachdruck, dass die Worte des Einsiedlers an die Gesandten der Acht Orte nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Dennoch meinten spätere Romanschreiber, sie wüssten es doch genau und steuerten völlig an der Thematik der Tagsatzung vorbei. Warum aber diese Geheimnistuerei des Klaus von Flüe? – Nach der Diffamierung durch Nicolao Garriliati traute sich kaum mehr jemand, in der Öffentlichkeit den Namen «Adrian von Bubenberg» auszusprechen. Sein Ruf war für längere Zeit beschädigt. Es ist durchaus denkbar, dass dessen Name in der geheimen Botschaft des Eremiten im Ranft durch Heimo Amgrund (Pfarrer in Stans) enthalten war; jedenfalls war er eben noch die eigentliche Integrationsfigur der Eidgenossen und vertrat die gleiche Friedenspolitik wie der Einsiedler. Der am wahrscheinlichsten anzunehmende Grund für die Exkommunikation in den Jahren zuvor hatte wohl auch etwas zu tun mit dem Ranft. Adrian von Bubenberg, der am 27. April 1469 bewaffnet und in Begleitung von Knechten dort erschien, wollte offensichtlich dem Einsiedler und Bekannten aus früheren Zeiten helfen, als der Generalvikar aus Konstanz eine Inquisition durchzuführen hatte (Quelle 004). Offensichtlich fühlte sich der Generalvikar, Weihbischof Thomas Weldner, durch das Auftreten und die Worte des Berners bedroht und brach die peinliche Prüfung ab. Adrian von Bubenberg tat aber auch hier nur, wofür er sich Zeit seines Lebens immer und überall engagiert einsetzte, in grösseren und kleineren Konfliktsituationen auf Deeskalation hin zu arbeiten. Die Kunde über die Vorgänge jenes Tages drang sehr rasch bis nach Rom zu den Kardinälen und Prälaten.
  
Nun, der erste Gesandte, bei dem die Worte von Bruder Klaus am 22. Dezember 1481 höchst wirkungsvoll ankamen, war zweifellos Rudolf von Erlach aus Bern. Seine Neuorientierung brachte wohl sofort bei den anderen Delegierten den Meinungsumschwung herbei. – Knapp ein Jahr später gibt der Kleine Rat Berns an die neu gegründete Ranftstiftung einen grösseren Geldbetrag (Quelle 031 und Beitrag «Der Friede in Gott – Brief an den Rat von Bern»). Dies geschah zweifellos in diesem Zusammenhang. Zwei Ratsmitglieder sind besonders zu erwähnen: Rudolf von Erlach und Adrian II. von Bubenberg (Sohn Adrians I.). – Gibt es nun am Stanser Tag mehr als nur einen Friedenstifter? Zwei? Oder sogar drei?
  
  
Am Silvestertag 1478 besuchte der Einsiedler Dekan, Albrecht von Bonstetten – dessen Bruder, Andreas Roll von Bonstetten, war ein Schwa­ger Adrians von Bubenberg – mit ein paar Reisegefährten den Ere­miten im Ranft, Bruder Klaus (Quelle 015). Darüber verfasste der Besucher einen Be­richt und sandte ihn an mehrere Adressaten in ganz Europa. In den aus­führ­lichen, detailreichen Beschreibungen fehlt aller­dings ein Hinweis auf das Meditationsbild – irrtümlicherweise später auch «Radbild» genannt. Wenn dieses «tuoch» oder eine diesbezügliche Skizze bereits im Ranft gewesen wäre, dann wäre sicher auch die Rede darauf gelenkt worden und Bonstetten hätte darüber etwas berichtet. Röntgenaufnahme Sachsler MeditationstuchWas hat das zu bedeuten? Das Medi­ta­tions-Tuch kam wohl frühes­tens 1479 zu Bruder Klaus in den Ranft. Heinrich Gun­del­fingen er­wähnt die­ses «ge­mal­te Rad» (rotam pic­turam) in seiner Bru­der-Klaus-Bio­gra­fie (Quel­le 052). Sein Be­such fand mit ziem­licher Si­cher­heit genau zwei Jahre nach dem Besuch von Bon­stet­tens statt, also im Winter 1480/81. Die Be­zeich­nung «Rad» für das Me­di­tations­bild (noch nicht als Tafel gefasst) stammt von Hein­rich Gun­delfingen.
  
  
Wenn man über eine Sache spricht, wird bisweilen auch mal etwas einseitig übertrieben, aufgebauscht, so dass es nicht mehr ganz die Realität widerspiegelt. Teile der Wahrheit werden aber auch oft unterschlagen. – Kohlendioxyd sei ein Klimakiller, wird in manchen Zeitungen geschrieben. Wenn man aber ernst über dieses Thema reden will, muss man acht geben, dass man nicht ins Absurde abgleitet. Menschen und Tiere atmen Sauerstoff (und natürlich auch Stickstoff) ein und stossen Kohlendioxyd aus. Sind wir Lebewesen allesamt «Klimakiller», nur weil wir atmen? Wenn wir Sprudelwasser trinken, ist darin dann ein «Killergas» enthalten?
  
Bereits Kinder in der Sekundarschule lernen etwas über den Kreislauf der Nahrung, wie aus Wasser und Kohlendioxyd verschiedene Zuckerarten entstehen. 6 H2O + 6 CO2 wird zu C6H12O6 und 6 O2, auf Deutsch: 6 Wassermoleküle und 6 Kohlendioxydmoleküle werden umgewandelt in Traubenzucker (Glukose, Dextrose, ein Monosacharid), ferner werden 6 Sauerstoffmoleküle freigegeben. Diesen Vorgang nennt man Photosynthese, er findet statt im Chlorophyll der Pflanzen. Gespeichert werden dann weitere abgewandelte Stoffe, weitere Formen der Kohlenhydrate sind: Sacharose (C12H22O11, Disacharide, in Zuckerüben und Zuckerrohr), ferner Stärke (C6H10O5, Monosacharid, in Getreide und Kartoffeln) etc. Wo wäre denn das Leben ohne Kohlendioxyd? Humane und animalische Organismen verbrennen diese Zuckerformen mit Hilfe von Sauerstoff und scheiden Wasser und Kohlendioxyd aus. Das Vorhandensein von Kohlendioxyd in der Atmosphäre ist relativ: mehr Kohlendioxyd bedeutet weniger Sauerstoff.
  
Andererseits haben wir, wie real gemessen werden kann, ein Zuviel an Kohlendioxyd wegen der stark zugenommenen Verbrennung von fossilen Kohlenhydraten – in der Schweiz zum grössten Teil aus dem Verkehr stammend. Aber diese Aussage ist ebenfalls einseitig. Unterschlagen wird die Tatsache, dass in vielen Gegenden eine epidemische Bauwut die Grünflächen, welche Nahrung produzieren, Kohlendioxyd abbauen und Sauerstoff freisetzen sollten, auffrisst. Es geht ums Geld. Doch man könnte sagen: Wenn alles zubetoniert ist, werden die Menschen sicher alle merken, dass man Geld nicht essen kann. Diese erschreckende Tendenz finden wir besonders im Schweizerischen Mittelland und bereits auch in der Innerschweiz. Zunehmend Grünflächen überbauen bewirkt zweierlei: Der Abbau von Kohlendioxyd wird geschwächt, und zugleich nimmt durch die Urbanisierung des Landes der Verkehr zu und damit auch der Kohlendioxydausstoss – ganz davon zu Schweigen, dass die zügellose Bauerei vielenorts auch das Grundwasser verdrängt. Dann meint man noch, das übermässige CO2 könne man ausgleichen, indem man armen Ländern Zertifikate abkauft, welche die gleichen Sünden nicht begehen dürfen. Sicher ist jedoch: Kohldioxyd lässt sich nicht in einer Geldwaschanlage abbauen. – Als Urenkel eines Bauern vom Rande des Zürcher Weinlandes (Welsikon, Gemeinde Dinhard, mit dem silbernen Schlüssel im roten Wappen) darf ich das schon so sagen.
  
Die einen Menschen brauchen einfach nur das Lebensnotwendige und brauchen dafür notwendiger Weise Geld. Andere jedoch gehen mit dem Geld skrupellos, zügellos um und raffen gierig zusammen, wo sich ihnen keine Hindernisse entgegenstellen. Die Einen tun etwas aus Not, die Anderen aus Gier. Zwischen Not und Gier gibt es einen himmelweiten Unterschied. In einer haltlos verdorbenen Welt sind der Unmoral gieriger Menschen keine Grenzen gesetzt; zuletzt handeln sie sogar noch mit Aktien, die sie gar nicht besitzen sowie mit toten Hypotheken und Krediten, wie mit verfaultem Obst. Was ist hier verfault? – Liegt auf dem Geld sowohl Segen wie auch Fluch? Bringt es die Menschen überhaupt zu einem Ziel? Macht Geld auch arm?
  
Tod und Leben, Reichtum und Armut, diese Gegensätze – Wörter, die auch anders kombiniert werden können –, bilden das eigentliche Thema in der Brunnenvision des Eremiten Klaus von Flüe. Der Wahn von der Geldvermehrung, draussen auf dem Markt, bringt keinen echten Reichtum, vielmehr sind und bleiben die Menschen stets arm. Das Leben fliesst und pulsiert aber in der Welt der Inneren Werte. Die Geisteskrankheit namens «Geldgier» behindert das wahre Leben nicht nur sondern wirkt überall zerstörend – Verantwortliche in den Kirchen ganz und gar nicht ausgenommen. Vielleicht gibt es ja doch noch Hoffnung, und manch einer meditiert ein wenig über die Bedeutung dieser Vision von Bruder Klaus, wo es schliesslich um Leben und Tod geht.
  
  
Am Donnerstag, 27. April 1469 wurde die obere Ranftkapelle eingeweiht. Ausführender der liturgischen Handlung war der Generalvikar von Konstanz (Kirchenprovinz Mainz), Weihbischof Thomas Weldner. Dieser fertigte anschliessend eine Weiheurkunde an, die jedoch verloren ging. Wir kennen nur noch die Abschrift einer Abschrift. Darin finden wir auch einen illustren Namen: Adrian von Bubenberg, Ritter und Schultheiss (miles et schultetus) als Zeuge. Als Zeuge für was? Im Text ist die Funktion des Berner Ratsherrn, dessen Amtszeit als Schultheiss an Ostern endete, am 2. April 1469, nicht eindeutig definiert und dadurch offen für Missverständnisse. Wer hatte ihn überhaupt eingeladen? Bern befand sich damals im Bistum Lausanne (Kir­chen­provinz Besançon).
  
  
Im Laufe der Geschichte gab es mehrmals «Finanzkrisen», so auch im 15. Jahrhundert. Der Herzog Sigmund von Österreich (ab 1477 Erzherzog) konnte sehr grosszügig sein, sich aber bisweilen auch verrechnen. Ein politischer Fehler führte zu einer Insolvenz, Sigmund konnte sich nicht mehr daraus befreien. Manch Einer im Reich wurde mit in den Strudel der Verschuldung gezogen. Nur waren damals Gläubiger und Schuldner reale Personen und nicht irgendwelche Konstrukte. Wichtig ist jedenfalls: In der Geschichte dürfen Einzelereignisse nie isoliert betrachtet werden.
  
Das Hoheitsgebiet der Habsburger bestand bis 1490 in zwei Teilen: Sigmund herrschte über weite Teile des Elsass, des Breisgaus, über die Grafschaft Tirol sowie über Teile in der heutigen Schweiz. Fast ironisch wurde ihm der Beiname «der Münzreiche» gegeben. Ein folgenschwerer Fehler war 1468 der Überfall auf die freie und mit den Eidgenossen verbündete Stadt Mühlhausen im Elsass. Die Verbündeten kamen der Stadt zu Hilfe, verjagten die österreichischen Truppen und verfolgten sie auf dem Rückzug am Südfuss des Schwarzwaldes. Weil es dabei auch um die Städte Rheinfelden, Säckingen, Laufenburg und Waldshut ging, spricht man auch vom «Waldstädterkrieg». Bei Waldshut kam es zu einem Waffenstillstand (siehe auch in Quelle 007). Der Herzog Sigmund musste eine hohe Summe zahlen (10’000 Gulden), musste das Geld aber von Karl dem Kühnen leihen; er nahm allerdings bei ihm einen Kredit von 50’000 Gulden auf. Der Burgunder wiederum nahm die habsburgischen Gebiete im Elsass und im Breisgau als Pfand. Schliesslich schloss Sigmund 1474 mit den Eidgenossen eine Allianz, die «Ewige Richtung», um zusammen mit dem rechtmässigen Herzog von Lothringen gegen Burgund Krieg zu führen. Die andere Habsburger Linie – Kaiser Friedrich III. und sein Sohn Maximilian – wollte diese Allianz allerdings ausdrücklich nicht anerkennen.
  
Der Bruder-Klaus-Biograf, Albrecht von Bonstetten (Quelle 015), hatte einen Bruder, Andreas Roll von Bonstetten. Obwohl Bürger von Bern und verheiratet mit Johanna von Bubenberg war er als Freiherr von Uster immer noch Vasall von Herzog Sigmund. Im Herbst 1474 bekam er von seinem Lehensherrn die Order, mit einer Truppe ins Feld zu ziehen und die Freigrafschaft Burgund zu besetzen. Es folgten weitere Aufgaben in den Burgunderkriegen. Für Sold und Ausrüstung musste Bonstetten zunächst selbst aufkommen, was sich schnell bis zu 32’000 Gulden aufstockte. Einen Teil des fehlenden Geldes lieh ihm sein Schwager, Adrian von Bubenberg. Dieser wiederum war zu Anfang gegen den Krieg mit Burgund, nicht weil er etwa, wie immer behauptet wird, ein Anhänger einer Burgunderpartei war, sondern weil er die Meinung des obersten Dienstherrn, des Kaisers, auf sein eigenes Verhalten applizierte. Friedrich III. war Herrscher über die östlichen Gebiete der Habsburger. Sein Sohn Maximilian sollte, wie es bereits abgesprochen war, später die einzige Erbin Burgunds heiraten.
  
Nach erfolgreichem Krieg verlangte Andreas Roll von Bonstetten von Sigmund die Erstattung der hohen Auslagen für die ihm befohlenen militärischen Expeditionen – die von ihm in den Burgunderkriegen befehligte Truppe war als «österreichisch» deklariert. Doch der Herzog – 1477 sogar noch zum Erzherzog befördert – schlitterte immer tiefer in die Insolvenz, er konnte jedenfalls die Schulden an seinen Vasallen nicht zahlen. 1490 musste Sigmund alle seine Ländereien an den Vetter Maximilian abtreten. Dieser war nicht willens, Bonstetten die Schulden Sigmunds zu bezahlen. Von dieser Insolvenz wurde nun am Ende auch Adrian von Bubenberg betroffen, als er im August 1479 starb, war er hoch verschuldet. Das förderte üble Gerüchte über den Lebensstil Bubenbergs, der angeblich leichtsinnig und verschwenderisch gewesen sein solle. Im Kontext betrachtet, sind alle diesbezüglichen Vorwürfe völlig haltlos.
  
Albrecht von Bonstetten, Dekan im Kloster Einsiedleln, besuchte am Sylvestertag 1478 zusammen mit einer Reisegruppe Bruder Klaus im Ranft. Seinen biografischen Bericht hätte er eigentlich gerne drucken lassen wollen. Aber es fehlte der Familie von Bonstetten das Geld dazu. Darum wurden lediglich mehrere Handschriften angefertigt und an verschiedene Adressen in ganz Europa gesandt. Als hervorragender Gelehrter befasste sich Albrecht von B. auch mit der Historiografie der österreichischen Vorlande.
  
Sigmund von Österreich wusste schon, wie er bei den Eidgenossen Eindruck machen und diese zu Waffenbrüdern gewinnen konnte. Bereits 1473 – vor dem Zustandekommen der Ewigen Richtung – soll Herzog Sigmund angeblich Bruder Klaus für die Ranftkapelle einen Messkelch und andere Gegenstände geschenkt haben (Quelle 018) – der Zeitpunkt der Schenkung ist jedoch ungewiss, denn der Kelch hat lediglich die Jahreszahl 1473 (Entstehungszeit?) eingraviert. Am 10. Dezember 1480 gab der inzwischen zum Erzherzog aufgestiegenen Sigmund für die Ranftkapelle gemäss einem Schreiben von Johannes Gsell, Stadtschreiber von Chur, 100 in Gold geprägte Rheinische Gulden für eine Ewige Messe. Bruder Klaus quittierte aber in einem Dankschreiben durch den Obwaldner Landammann, Niklaus von Einwil, nur 90 Gulden. Jedenfalls war Sigmund zu diesem Zeitpunkt bereits so gut wie bankrott und hatte dennoch etwas «Münz». Offensichtlich befand sich Sigmund schon längere Zeit – seitdem er zwölf Jahre alt war – in einer seelischen Not, in einer deprimierenden Hilflosigkeit und sah in Bruder Klaus eine mentale Stütze. Darum die Geschenke. Denn es gibt Anzeichen dafür, dass nicht er der eigentliche Verursacher der Krise war sondern sein Vetter in Wiener Neustadt, Kaiser Friedrich III. (quasi der «Mutterkonzern»), der Sigmund zeitlebens tyrannisierte und ausnutzte, der für seine eigenen vielen Händel Unsummen verbrauchte, nicht nur als er die Grafschaft Kyburg an Zürich verkaufte, die eigentlich gar nicht ihm gehörte sondern dem kleinen Vetter. Sigmund konnte dem Vetter Friedrich als dessen ehemaliger Mündel (1439-1446) nie etwas recht machen. Aber um seinen Kopf für den grossen Vetter hinzuhalten, dafür war er dann wieder recht. Es gibt in der Geschichte nichts Komplizierteres als die Geschichte der Habsburger im Mittelalter. – Über die Geschenke Sigmunds weiss auch ein weiterer Bruder-Klaus-Biograf zu berichten, Heinrich Gundelfingen (Quelle 052). Als Protegé erhielt Gundelfingen von Sigmund 1471 einen Lehrauftrag und 1476 die Professur in den Freien Künsten (artes liberales) an der Univeristät Freiburg (1457 gegründet durch dessen Vetter Herzog Albrecht VI.). – Der wertvolle Messkelch befand sich bei der Visitation am 17. Juli 1654 noch in der Sakristei der Flüelikapelle, wo er hernach irgendwann entwendet wurde.

  
  
Das Sachsler Meditationsbild ist als Ganzes ein «Speculum Humanæ Salvationis» – ein Spiegel des menschlichen Heils. Es entstand höchst­wahrscheinlich um 1469 in Basel, im Umfeld der Leonhardskirche (Stifts­kirche der Augustiner Chorherren und zugleich Leutkirche). Der Inhalt deutet auf eine Nähe zur Devotio Moderna hin, die ihren Ursprung in den bur­gun­dischen Niederlande hatte und durch die Augustiner Chorherren und Augustiner Eremiten in ganz Europa verbreitet wurde. In diesem spirituellen Umfeld bildeten sich in manchen Städten des 15. Jahrhunderts Bruder­schaften und Schwesterngemeinschaften (Beginen), welche den christlichen Glauben in die Tat umsetzen wollten.
  
  
Für Bruder Klaus (Niklaus von Flüe) ist Pfingsten ein Weg nach innen, wo nicht Gemeinheit und Geschäftigkeit der Menschen herrschen sondern die innern Werte. Eindrücklich wird ein solches Pfingst|erlebnis des Einsiedlers in der Brunnenvision geschildert. Die Erzählung finden wir in zwei Va|ri|an|ten (• Synopse), beide wurden durch die direkten Nachkommen mündlich überliefert und danach schriftlich festgehalten:
1. Die Engelberger Version – Caspar am Büel (Ambühl, Quelle 068)
2. Die Sachsler Version – Heinrich Wölflin (Quelle 072)
  
  
In der Woche nach Fronleichnam 1469 besuchte ein unbekannter Dominikaner Bruder Klaus im Ranft und prüfte dessen Glauben und dessen Lebensweise, ob da alles mit rechten Dingen zugehe (Quelle 005). Professor Heinrich Stirnimann OP meinte einmal, der Prediger sei damals auf Geheiss des Bischofs von Konstanz hingegangen. Das könnte schon so gewesen sein. Aber warum? Anfang April des gleichen Jahres erteilte Bischof Herman von Breitenlandenberg seinem Generalvikar für geistliche Belange, Weihbischof Thomas Weldner (Franziskaner), den Auf­trag, den Eremiten im Ranft genauestens zu prüfen oder mit anderen Worten: eine Untersuchung (Inquisition) durchzuführen (Quelle 004). Wur­de diese etwa am 27. April 1469 nicht zu Ende geführt, so dass da noch etwas nachzuholen war?
  
Bruder Klaus nahm seit Monaten keine feste Nahrung mehr zu sich, auch keine alkoholische Getränke. Der Weihbischof sollte damals auch prüfen, ob da nicht irgendein Betrug oder gar ein Teufelswerk im Spiel sei. Als der Eremit beim zweiten Bissen Brot fast erstickte und Blut aus seinem Mund floss, ging dies mindestens einem Besucher zu weit. Es gab einen energischen Protest gegen die Weiterführung, gegen die Eskalation der Inquisition (Quelle 069). Offensichtlich hatte aber nur einer der An­wesenden die entscheidende Autorität und den Mut, da einzuschreiten: Adrian von Bubenberg. Nun, der Weihbischof könnte sich bedroht gefühlt haben und deswegen die Prüfung abgebrochen haben. Zweifellos berichtete er seinem Dienstherrn in Konstanz über den ganzen Vorfall. Die Kunde davon muss wohl sogar bis nach Rom gedrungen sein (vgl. Quelle 075). Noch während Jahrzehnten wussten die Kardinäle und Prälaten davon. Und irgendwann musste dann wohl doch etwas zu­rückkommen.
  
Auf Bedrohung eines Bischofs stand damals die Kirchenstrafe der Exkommunikation (latae sententiae, d.h. automatisch durch die Tat selbst, auch ohne Schuldspruch). Da von kirchlichen Kreisen aber kein Urteilsspruch bekannt wurde, kann es sich nur um eine latente Ex­kommunikation gehandelt haben. Zuständig für die Rekonziliation (Befreiung) war je­den­falls der Bischof des Wohnorts des Berner Ratsherrn von Bubenberg, also der Bischof von Lausanne. Der Sitz war 1469 allerdings vakant, 1472 bis 1476 war der Bischof von Lausanne dann kein geringerer als der Neffe von Papst Sixtus IV., Kardinal Giuliano della Rovere (später selber Papst, als Julius II.) Sowohl der Kardinal als auch Adrian von Bubenberg waren mehrmals auf diplomatischen Reisen in Frankreich. Ob sie sich da auch schon mal getroffen hatten?
  
Was, wenn nun ohne Intervention Adrians von Bubenberg der Einsiedler, Klaus von Flüe, bei der Inquisition tatsächlich gestorben wäre? Wie wäre dann die Geschichte in der Eidgenossenschaft und in Europa wei­ter­ge­gangen?
  
  
Der Friedenstifter
  
  
Bezüglich Stanserverkommnis 1481, bei dem es darum ging das Bündnissystem der Eidgenossen neu zu ordnen, heisst es bisweilen: Es seien 4 Länder gegen 4 Städte gestanden, und die Länder hätten befürchtet, dass nach der Aufnahme Freiburgs und Solothurns die Städte die Oberhand hätten gewinnen können. Diese Rechnung ist für sich allein schon falsch. Das Verhältnis war vor der Aufnahme der beiden Westschweizer Städte in Tat und Wahrheit 5:3, denn Zug zählte nicht als Stadt. Obwohl ein stadtähnliche Siedlung hatte der Ort damals nicht die Verfassung einer Stadt; an der Spitze der Regierung Zugs steht seit eh und je nicht ein Schultheiss (Bürgermeister) sondern ein Landammann. Zug trat zudem 1477 dem Landrecht bei mit den übrigen Länderorten: Uri, Schwyz, Unterwalden und Glarus sowie dem Bischof von Konstanz.
  
Dass generell die Länder einer starken Opposition aus den drei Städten, Bern, Luzern und Zürich gegenübergestanden hätten, wäre zu simpel gedacht und entspräche bestenfalls der halben Wahrheit. Das Misstrauen war mehrfach diametral. Zürich war wegen des Zürichseekrieges, als das mit Zürich verbündete Österreich (König Friedrich III., Vormund von Herzog Sigmund) 1444 die grösste Armee der damaligen Zeit mietete und gegen die übrigen Eidgenossen nach St. Jakob an der Birs losschickte (kommandiert vom Dauphin Frankreichs, dem späteren König Ludwig XI.), bei den Innerschweizern (auch Luzernern) im Ansehen immer noch etwas tiefer eingestuft.
  
Zwischen Obwalden und Luzern gab es Spannungen wegen dem versuchten Staatsstreich der Entlebucher gegen die Stadt Luzern im Spätsommer, bzw. Herbst 1478, in den Obwaldner Ratsherren (Bürgler und Küenegger) involviert waren – Amstaldenhandel (Quelle 014). Und als Adrian von Bubenberg, Schultheiss von Bern, vermitteln wollte, geriet er bei den Luzernern in Verdacht, er würde mit den Aufständischen konspirieren. Anstatt dem Berner Ritter dankbar zu sein, weil durch seine Tätigkeit immerhin die Transparenz der Verschwörung verbessert wurde, liessen die Luzerner nicht vom grossen Misstrauen gegen ihn ab. Sie glaubten vielmehr dem Hauptmann der Entlebucher Truppen, Peter Amstalden aus Schüpfheim, der unter der Folter auf der Aussage bestand: Adrian von Bubenberg hätte die Obwaldner zur aktiven Beteiligung am geplanten Aufstand ermutigt. Ein Missverständnis mit einer Kettenreaktion. Eine Klärung in Stans zwischen einer Berner Delegation und Räten Unterwaldens (Ob- und Nidwalden), welche die Anschuldigung entkräftete, wollten die Luzerner nicht zur Kenntnis nehmen. – Jedenfalls wollten die Obwaldner und Entlebucher auch Bruder Klaus für ihr vorhaben einspannen. Dieser liess sich allerdings nicht auf deren unfriedliche Pläne ein. Adrian von Bubenberg wurde vermutlich durch den Eremiten auf das drohende Unheil aufmerksam gemacht. Er mahnte, wie eben auch Bruder Klaus, zur Mässigung und verwies auf eine friedliche Regelung durch den Dialog. Luzern hatte aber bereits vor dem Amstaldenhandel mit Bruder Klaus mehrmals Kontakt aufgenommen, wobei es wohl um die Diskrepanz zwischen Landrecht und Burgrecht ging, derart, dass sich Unterwalden und Luzern immer feindlicher wurden.
  
Kurz nach den Burgunderkriegen schlossen 1477 die Städte Bern, Luzern und Zürich untereinander sowie mit Freiburg und Solothurn das «Ewige Burgrecht ab». Damals war die Stimmung noch sehr opportunistisch, und die Erinnerung an Bedrohungen von aussen, durch Burgund und Habsburg noch relativ frisch. Es gab jedoch eine rein formale juristische Diskrepanz zwischen Landrecht und Burgrecht, die sich offensichtlich gegenseitig ausschlossen. In der Eidgenossenschaft gab es nun beides. Luzern war allerdings mit den Urschweizer Orten mit einem Landrecht verbunden und durfte deswegen nicht auch noch Burgrechte eingehen. 1481 wurden alle diese Sonderrechte abgeschafft und es gab zum ersten Mal so etwas wie ein «Bundesrecht» für alle sowie für die «Zugewandten Orte» wie Stadt und Abtei St. Gallen, Rapperswil, Rottweil, Biel, Mülhausen im Elsass usw. Das neue Recht war geradezu eine Synthese zwischen Landrecht und Burgrecht, bei weitem mehr als nur ein Kompromiss. Beide Bezeichnungen waren ja ohnehin nur Worthülsen, die Prinzipien dahinter waren aber fast die gleichen.
  
Dass nach dem Ausbleiben einer Einigung in Stans am 22. Dezember 1481 ein Bürgerkrieg gedroht hätte ist in Anbetracht der tatsächlichen, weitverzweigten Lage, eine krasse Übertreibung und allein schon per definitionem falsch, denn die acht Orte waren lediglich ein loser Staatenbund ohne gegenseitiges Bürgerrecht – mit Ausnahme der drei Städte. Auch der Sohn des Luzerner Stadtschreibers, Diepold Schilling, hatte da über Gebühr dramatisch übertrieben (Quelle 208). Aber es war tatsächlich schwierig, da noch den rechten Überblick zu haben.
  
Als die Delegierten im Dezember 1481 in Stans zusammenkamen, war die herausragende Integrationsfigur der Eidgenossen, Adrian von Bubenberg, schon seit einigen Monaten (August 1479) tot. Und vor wenigen Wochen wurde dieser Berner Ritter und Schultheiss von einem Abbreviator (Protonotar) aus Rom, Nicolao Garriliati, übel verleumdet, dass er eigentlich exkommuniziert worden sei und deswegen sein Leichnam aus dem Münster St. Vinzenz zu entfernen sei. Was aber könnte der Grund hierfür gewesen sein? Was könnte eine latente Exkommunikation ausgelöst haben? (vgl. Quelle 004)
  
Als nun Bruder Klaus durch den Mittelsmann, Pfarrer Heimo am Grund, um Rat gefragt wurde, muss seine Antwort in wenigen klaren Worten bestanden haben. Der Eremit hatte wohl als einziger den richtigen Überblick. Aber er hatte nicht bei allen Delegierten die Autorität, um Entscheidendes bewirken zu können. Hatte er auf eine andere Person mit grösstem Ansehen unter allen Eidgenossen hingewiesen? Wie dieser über das anstehende Problem denken würde? Das dürfte zutreffen. Die Abgeordneten der acht Orte konnten sich die Integrationsfigur, Adrian von Bubenberg, «lebhaft» vorstellen und ihm nur beipflichten. Der grossartige Imaginationseffekt des Einsiedlers im Ranft hatte bei den Delegierten in Stans die entscheidende Wirkung. Zwei physisch abwesende Friedenstifter wurden in Stans imaginativ gegenwärtig. Die Delegation Berns, mit Rudolf von Erlach, ging wohl als erste auf die geheime Botschaft des Eremiten, Klaus von Flüe, ein und brachte Bewegung in die verfahrene Situation, derart wirksam, dass in kurzer Zeit eine Einigung zustande kam: die Synthese zwischen zwei Rechtsformen, die sich in den Prinzipien eigentlich äusserst ähnlich waren, aber dem äusseren Anschein nach bisher unvereinbar schienen.
  
  
Ein Kernstück in der Spiritualität von Bruder Klaus ist die Brunnenvision, überliefert durch den Enkel Caspar am Büel aus Altsellen bei Engelberg, Sohn der Verena von Flüe, welche in die Sippe am Büel einheiratete (Quelle 068). Der Nachkomme schrieb allerdings den Bericht dreier Visionen nicht selbst nieder sondern (vor 1500) ein Mönch oder eine Nonne in Engelberg mit guten Kenntnissen über die Funktion der Orgel. Klaus von Flüe hatte diesen Traum in einer Nacht, als er noch im Haus seiner Familie auf dem Schübelacker wohnte.
  
Klaus von Flüe lebte in einer Zeit des Übergangs von der Natural- zur Geldwirtschaft. Erstaunlich, auf was die Leute draussen auf dem «Markt» alles kommen, nur um an das Geld Anderer heranzukommen! Und das war doch erst der Anfang. Kein Leben ohne Geld. Selbstversorgung unmöglich. Wohin ging und geht die Entwicklung? Es gibt da einen himmelweiten Unterschied zwischen jenen Menschen, die Geld für das Lebensnotwendige brauchen und jenen anderen, die in ihrer Gier und Hybris nie genug bekommen können, oder sich sogar auf die alte pythagoreische Devise einstellen: Wer die Zahl hat könne die Welt beherrschen. – Mahatma Gandhi sagte: «Armut ist die schlimmste Form von Gewalt.» Ist Geld eine Form von Macht und Gewalt? Eine Ethik scheint da nicht zu greifen. Oder doch? Irgendwann? Irgendwie? – Der mächtigste und reichste Mann stellte dem antiken Prototyp des Einsiedlers einen Wunsch frei. Dieser löste ihn so ein: «Geh’ mir doch einfach etwas aus der Sonne!» Dem einen war die Sonne, die über allen scheint, Armen und Reichen, Niedrigen und Mächtigen, gleichsam das Symbol für die Menschenwürde. «Lass mich doch einfach in Würde leben!» so könnten wir die Worte des Diogenes frei übersetzen. Dem reichen Bauern im Flüeli werden in seinem Traum dem Treiben draussen rund um das Geld die inneren Werte gegenübergestellt, als Tabernakel mit dem Brunnen in der eigenen Seelenlandschaft. Dazu zählt auch die Allen von Natur aus zustehende Menschenwürde. Sich um sie zu kümmern ist wichtiger als dem Geld nachzujagen, wo bisweilen die Menschenwürde nicht nur vernachlässigt sondern sogar verachtet wird.
  
In der Mathematik und der Physik wird bisweilen vom «Dominoeffekt» oder «Schneeballeffekt» gesprochen, je nach Ausmass der Folgen eines auslösenden Ereignis’. Nehmen wir mal dies an: Die Krankenkasse X erhöht massiv die Prämien. Als Grund hierfür nennt sie nebst dem üblichen Standardspruch von den steigenden Gesundheitskosten, dass die (Vermögens-)Reserven massiv zurückgegangen seien. Warum? – Nun, wie viele Versicherungen und Pensionskassen versucht die KK das Vermögen «gut» anzulegen, um dazu noch schnelle und hohe Gewinne zu machen. Als ziemlich sicher wurden «Strukturierte Fonds» angepriesen. Trotzdem wurde auch auf ein nicht auszuschliessendes Risiko aufmerksam gemacht. Die Fonds wurden genauer deklariert. Darin tauchte auch der Name «Lehman Brothers» auf. Im Herbst 2008 machte diese Grossbank jedoch Konkurs, die Schulden in den Fonds mussten abgeschrieben werden. Es wurde nach Ursachen des Bankencrashs geforscht. Dabei wurde gesagt: Es seien viel zu grosszügig Hypotheken und Kredite vergeben worden. Doch diese dürfte bestenfalls die halbe Wahrheit sein. Drei anderen Grossbanken (Bear Stearns, Fannie Mae und Freddie Mac), ebenfalls in den USA, half die Regierung, der unweigerlichen Insolvenz zu entkommen. – Die Käufer der deklarierten Fonds waren sich kaum bewusst, dass eben die LB auch Gläubiger eines der grössten Schuldner überhaupt war, der seinerseits die Schulden nie wird zurückzahlen kann. Wer sollte das sein? Die Regierung der USA (Staatsanleihen). Um ein wenig die Billionen Schulden, wovon einen immensen Teil durch die Kriege (in Afghanistan und im Irak) verschlungen wird, herunterzufahren, könnte man einen Teil davon einfach dadurch streichen, dass eine Bank in den Konkurs geht. Wenn das wahr ist, besagt der «Dominoeffekt» nun dies: Die Kunden der Krankenkasse X finanzieren mit den erhöhten Prämien dann indirekt die Kriege der USA mit, sie haben keine andere Wahl. – Solches Gebaren ist nicht neu. Bereits die Fürsten im Spätmittelalter praktizierten das, das Wegblasen von Schulden, allen voran Kaiser Friedrich III. und seine Nachkommen. Andere mussten dann den Kopf hinhalten, behaftet mit dem schlechten Ruf eines unmoralischen Schuldners (Quellen 015 und 018), sogar Menschen, die eine nähere Beziehung zu Bruder Klaus hatten.
  
Wenn eine grosse Gefahr unmittelbar droht oder eine schwere Not herrscht, stehen die Menschen meistens zusammen, und die Menschenwürde manifestiert sich in der Solidarität. Bei der Finanzkrise 2008/09 war davon allerdings nichts zu sehen; die Armut in der Welt ist nicht geringer geworden. Vielleicht war ja auch die Not nicht oder noch nicht schwerwiegend genug. Was aber muss denn noch geschehen, damit die Menschen nicht nur nachdenken sondern auch ihr Verhalten ändern? – Gibt es denn da nur eine dunkle Seite der Macht und nicht auch eine helle? Wer mächtig genug ist, kann Schulden streichen, nicht nur seine eigenen, wie oft praktiziert, sondern auch die der Ärmeren. Am besten auf die Weise, dass man im Voraus dafür sorgt, dass die Armen dieser Welt das Nötige erhalten und menschenwürdig leben können.
  
  
«Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst.» lautet ein Sprichwort. Krieg ist die stärkste und zugleich grausamste Form der Macht. Der freie Wille wird niedergerungen und ausgeschaltet. – Wahrheit ist zusammen mit der Gerechtigkeit die Spitze der Ethik. Was dem Menschen erst seine Würde gibt, ist die Freiheit zur Wahrheit. Die Wahrheit ist nur dort wahrhaft möglich, wo Friede ist. Wo rücksichtslose Macht am Werk ist, ist die Wahrheit nur noch Ohnmacht. Wer dennoch an ihr hängt und zu ihr steht, der ist immer auf der Flucht, er muss um sein Leben fürchten. Ein chinesisches Sprichwort sagt: «Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd.»
  
Ist der exzessive Krieg aber der einzige Gegner der Wahrheit? Oder ist vielleicht bei manchen Menschen und Organisationen das Geld zu einer Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln geworden? Sind das die «Zeichen der Zeit»? Irgendwie ist es so: Wer die Macht hat, meint auch, er könne bestimmen, was Wahrheit ist. Wer zu wenig Macht dazu hat, sammelt Geld, um genügend Macht zu bekommen und verbreitet dann Pseudowissen und Halbwahrheiten – aber nicht die «ganze Wahrheit». Dieser wird immer wieder und überall auf der Erde Gewalt angetan; sie liegt am Boden, in Staub und Schlamm, mit Füssen getreten. Wer wird sich in einem Klima bedrohlicher, offener und verborgener Repressionen getrauen, sie aufzuheben und zu tragen. Wer sie, die Wahrheit, trotzdem aufhebt und das Zeichen der grössten Menschenwürde trägt, dem wird es eine höhere Instanz verdanken. «tragen» heisst in einem älteren Deutsch «burden» (bürden) – Partizip perfekt passiv: «geburt». Aber die Menschen haben Angst und sind mit dem Erwerb von Geld beschäftigt. Die einen sind dabei betrunken von einer Gier und träumen schrankenlos von einer immer grösser werdenden Zahl, die sie angeblich besitzen können oder an der sie Anteil haben können. Nicht die Wahrheit ist ihnen wichtig sondern nur das Geschäft. Die anderen haben wiederum kaum genug, um ihr kümmerliches Leben fristen zu können. Sie strampeln sich ab, und bleiben stets so arm wie zuvor. Doch sie alle, die dem Geld, der dunklen Seite der Macht, nachjagen, haben der Wahrheit den Rücken zugekehrt, berauscht mit dem Pseudowissen, was sich alles mit ihrer wachsenden Macht anstellen lässt, oder hoffnungslos niedergeschlagen in der täglichen Ohnmacht.
  
Wenn wir die Wahrheit und den Frieden symbolisch (allegorisch) als Person darstellen müssten, wie sähe sie aus? – Gebunden und geschunden steht Jesus vor Pilatus, die Diskussion über die Aufgabe Jesu endet mit der Frage des Römers: «Was ist Wahrheit?» (Joh 18,38) Er musste es ja wissen, denn seine Macht als Statthalter der Weltmacht Roms war nicht besonders gross. Die Hohenpriester am Tempel hatten eine grössere Macht und konnten jederzeit in Rom vorstellig werden und seine Absetzung bewirken. Sie bestimmten, was wahr und gerecht sein sollte. – Im Gegensatz dazu werden im Neuen Testament Wahrheit und Frieden auf Jesus bezogen (Joh 14.6, bzw. Eph 2.14), den Menschensohn (etwa in Mk 13.26 u. 14.62 – hebräisch: ben adam), der verworfen wird, leidet und in Ohnmacht stirbt. Die Krone des Menschseins wird niedergemacht und beseitigt. Die Wahrheit ist die Krone des Seins, der Menschenwürde. Jahrhunderte später lässt der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski den Grossinquisitor Jesus fragen: «Warum bist du gekommen, uns zu stören? … Schon morgen jedoch werde ich dich verurteilen und als den schlimmsten aller Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrennen, und dasselbe Volk, das heute deine Füße geküsst hat, wird morgen auf einen Wink meiner Hand herbeistürzen und Kohlen für deinen Scheiterhaufen heranschaffen.?» (in: Die Brüder Karamasow)
  
Und heute? Finanzkrisen schütteln die virtuelle Welt der Menschen. Die Macht dieser Erde in ihrer dunklen Seite schreckt auf. In ihrem Unwissen, begehen die Verantwortlichen, die sich für weise halten, einen Fehler nach dem anderen. Da kauft etwa ein Staat (nicht die Schweiz) zwei Banken (erwirbt deren Mehrheit), bei der wiederum andere Staaten grosse Schulden haben. Er hätte diese grosse, internationale Geldinstitut auch dem Bankrott überlassen können, dann wären nicht nur die Guthaben der Kunden der Bank weggewesen sondern auch gewichtige Teile der Schulden der Staaten, Griechenland, Portugal, Spanien, Island, USA etc. Und so unschuldig sind die Kunden dieser Banken auch nicht gerade (kirchliche Institutionen nicht ausgeschlossen), sie liessen sich zu einer paranoiden Gier nach hoher Rendite verführen.
  
In Europa baut ein Land mit Hilfe des Geldes seine Macht gegenüber anderen aus, obwohl es selbst die grössten Schulden hat und eigentlich ohnmächtig ist. Da liegt die Wahrheit völlig im Dreck. Und wenn die Macht des Geldes bedrohlich zu schwinden scheint, wer muss dann diese Ohnmacht am meisten spüren? Die Armen, die schon am Boden liegen, genauso wie eben die Wahrheit selbst – ob dann in Griechenland oder in Deutschland oder anderswo. Ist da Frieden noch möglich? Der Friede als die helle Seite der Macht? Hell, lichtvoll, lebensbejahend? Oder ist das nur ein Gedanke der Utopie von weltfremden Idealisten? Wahrheit und Frieden sind letztlich ein und dasselbe, in einer wertfremden Welt fallen gelassen und vergessen. Bruder Klaus wehrt sich aber dagegen.
  
Anscheinend haben manche Politiker es noch nicht richtig erkannt, dass einige Banken und Rating Agenturen sowie sonstige unmoralische Spekulanten einen Krieg gegen die Völker führen. Sie, die Volksvertreter, verhalten sich falsch und können die Tragweite ihrer Fehler offensichtlich nicht richtig einschätzen und vor allem nicht rechtzeitig. Staaten zeichnen Anleihen oft bei Banken im jeweiligen Ausland, wo wiederum dessen Politiker glauben, diese Banken, koste es was wolle, vor dem Bankrott retten zu oder für deren Pleite eine Staatsgarantie übernehmen zu müssen. Doch die Vöker wollen das nicht, sie wollen Frieden nicht Krieg. Die Spirale der «Gewalt» dreht sich weiter. Wie kommt man wieder aus dieser Falle heraus? Dass diese Eskalation kein gutes Ende nehmen wird, sollte jedoch irgendwie einleuchtend sein.
  
Geld und Armut … Wahrheit als Ohnmacht … der Dank für diejenigen, welche die höchsten Werte des Menschseins hochhalten, das sind Themen, die in einer schönen Schilderung in den drei wichtigsten Visionen des Klaus von Flüe zu finden sind – nach der Überlieferung seines Enkels, Caspar am Büel (Ambühl): Pilgervision, Brunnenvision und Dankesvision.
  
  
Was ist ein «Wunder»? Eine einfache Erklärung sagt: Ein Wunder ist ein Geschehen, das wider allen Erwartens eintritt. Eine strengere Definition lautet: Ein Wunder ist ein Geschehen, das natürlich, beziehungsweise wissenschaftlich nicht erklärt werden kann. Für ein Wunder nach re­li­giösen Massstäben gilt eigentlich letzteres. Doch, was Wissenschaften sich als Wissen beschafft haben, verändert sich im Laufe der Zeit. Das Wissen im 15. Jahrhundert zum Beispiel über den Zusammenhang zwi­schen der Nahrung und der Energie, war nur gering.
  
  
Am 27. April 1469 weihte der Konstanzer Weihbischof und Generalvikar, Thomas Weldner (Franziskaner) die an die Einsiedlerzelle angebaute Kapelle im Ranft ein. Darüber fertigte er vor Ort eine Urkunde an. Diese ist leider nicht mehr vorhanden, ebenso eine spätere Abschrift dieser Urkun·de. Lediglich als Quelle der dritten Generation überlieferte uns Johann Joachim Eichhorn eine Kurzfassung. Als Zeuge wird auch Adrian von Bubenberg, Ritter und Schultheiss von Bern (bis Ostern, 2. April 1469) erwähnt. Als Zeuge für was? Was geschah noch weiter an jenem Tag? Verschweigt uns die Überliefung Eichhorns etwas?
  
  
Vom tuoch zum buoch …
  
  
Weihnachten ist eng verbunden mit dem Frieden. Um Frieden zu erhalten oder zu erreichen braucht es dies: eine gute Gesinnung und lautere Ab­sichten (soweit zum schwierigen Wort «eudokia» im Lukasevangelium). Wenige Tage vor Weihnachten 1481 war jedoch Unfriede über dem Land der Eidgenossen und dem Dorf Stans. Dahin waren die Gesandten der acht Orte angereist, um über das Fortbestehen der Eidgenossen­schaft zu beraten und zu entscheiden. Zwei Parteien befanden sich im Streit: Luzern, Zürich sowie Bern waren im Burgrecht verbunden und mit ihnen die Städte Freiburg und Solothurn sowie weitere; auf der anderen Seite waren Uri, Schwyz und Unterwalden sowie Glarus und Zug in einem Landrecht zusammen­ge­schlos­sen. Die beiden Rechtsformen schienen ein­an­der auszuschliessen. Dazu gab es ein System von komplexen Allian­zen einzelner Ort mit Aussenstehenden. Zürich hatte zum Beispiel ein Burg­recht mit der Stadt St. Gallen, Schwyz war Schutzmacht von Rappers­wil usw.
  
  
Sakralbauten wurden im Mittelalter auf einen oder mehrere Ehrentitel geweiht. Welche Titel hatte nun die Ranftkapelle mit dem Weihedatum 27. April 1469? – Abschriften zweier Urkunden durch Johann Joachim Eichhorn (Quelle 004) nennen vier Titel: Selige Jungfrau Maria (Mutter Jesu), heilige Maria Magdalena, Kreuz­erhöhung und die 10’000 Martyrer (wörtlich im Genitiv: Martyrum, also nicht equitum oder militum = Ritter).
  
  
Das Sachsler Meditationstuch, das einst Niklaus von Flüe gehörte, ist sozusagen ein Mind Mapping der Devotio Moderna. In der Mitte wird das Haupthema dargestellt: der Mensch als Ebenbild Gottes, als sein Spiegel. Vom zentralen Thema gehen Äste aus zu den mit ihm zusammen­hän­gen­den Seiten­the­men, ohne die das Hauptthema gegenstandslos wäre.
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In Bruder Klausens «Pilgervision» (überliefert durch Caspar am Büel, Quelle 068) ist u. a. von der Wahrheit die Rede: «Als er [Bruder Klaus] ihn [den Pilger] so unverdrossen ansah, war sein Blick völlig gefesselt. Er geschahen viele grosse Wunder: Der Pilatusberg neigte sich nieder bis auf die Erde, und es öffnete sich das Innere der Erde, so dass es ihm vorkam, als ob alle Sün­den der Welt offenbar würden. Es war nun eine grosse Menschen­menge zu sehen, und hinter ihrem Rücken erschien die Wahrheit. Alle hatten ihr Gesicht von der Wahrheit abgewendet. Je­dermann hatte an seinem Herzen ein grosses Geschwür – etwa zwei Fäuste gross. Dieses Geschwür war der Eigennutz, und es war ein sol­ches Übel, Veronikadass sie den Anblick des edlen Mannes nicht ertragen konn­ten, so wenig wie der Mensch die Feuerflammen er­tra­gen kann. Von einer schreckli­chen Angst getrie­ben, fuhren sie umher, verun­staltet durch Laster und Schandta­ten. So konnte er sie von ferne da­hin­fah­ren sehen. Aber die Wahrheit hin­ter ihrem Rücken verwandelte sich und sah aus wie das Abbild im Schweiss­tuch der Veronika. [Le­gen­de um Lk 23,27]»
  
  
«Ihr sollt auch das Leiden Gottes in Eurem Herzen tragen, denn es ist für den Menschen der grösste Trost [Sicherheit] an seinem letzten Ende.» (Brief von Bruder Klaus an den Rat von Bern, Quelle 031) – Das mittel­hoch­deutsche Wort «trost» hatte eine vielfältige Bedeutung und korres­pon­diert mit dem englischen «trust» (= Vertrauen, Zuversicht) und geht noch darüber hinaus: Hilfe, Bürgschaft, Sicherheit, Mut.
  
  
Zu den schönsten Texten in der Bruder Klaus Literatur zählen die drei Visionen, die Caspar am Büel (Ambühl), ein Sohn der Verena von Flüe in Altsellen, vor 1500 überliefert hatte (Quelle 068). Der Anfang der Hand­schrift fehlt allerdings. Dann folgt zuerst die Episode mit dem Frem­den, der zunächst aussieht wie ein Pilger mit Hut und Stab, dann aber sein Aussehen mehrmals ändert – Pilgervision.
  
  
1460 kam es zur Invasion im Thurgau durch Eidgenössische Truppen (ohne Beteiligung Berns) – ausgelöst durch Papst Pius II. (Piccolomini) simultan mit dem Kirchenbann gegen Herzog Sigmund von Österreich. Mit dabei war auch der hochrangige Offizier Niklaus von Flüe (Bannerherr von Obwalden). Bisweilen ist auch von einer «Eroberung» die Rede. Diese Ein­schätzung ist allerdings nicht ganz korrekt, anders gedeutet war es eine Befreiung.
  
  
«Mischt euch nicht in fremde Händel!» Ist dieses Zitat wirklich authentisch? Nein. Einen ähnlichen Wortlaut finden wir je­doch in der «Legende» von Hans Salat, gedruckt 1536: «Beladet euch nicht mit frem­den Angelegenheiten!» (Quelle 233). Aber auch dieses Werk Salats ist keine zuverlässige Quelle und wurde 1591 beim Sarner Prozess zwecks Heiligsprechung von Niklaus von Flüe (Quelle 301) nicht zuge­lassen.
  
  
«Darum sollt Ihr darauf achten, dass Ihr aufeinander hört, dabei sei Euch die Weisheit das Allerliebste, denn mit ihr verläuft alles zum Besten.» so lautet ein Satz im Brief des Einsiedlers Niklaus von Flüe an den Rat von Bern, datiert mit 4. Dezember 1482. – Und die Einleitung des Briefes heisst: «Der Name Jesus sei Euer Gruss,»
  
  

  
  
Bruder Klaus, alias Niklaus von Flüe, galt schon früh als Friedenstifter. Darauf weisen einige Quellen hin. Die älteste diesbezüglich schrieb Albrecht von Bonstetten nach seinem Besuch beim Eremeten im Ranft am 31. Dezember 1478 (Quelle 015): «Er lobt den Gehorsam und den Frieden, den zu halten er die Eidgenossen eindringlich ermahnte und auch alle, die zu ihm kommen.» – Sein Ruf als Friedenstifter verbreite sich in ganz Europa, bis nach Venedig (Quelle 016). Und in der vom Obwaldner Rat in Auftrag gegebenen Biografie schrieb Heinrich Wölflin in Paragraph 9 (Quelle 072): «Niklaus nahm nie am Krieg teil, ausser auf Befehl der Oberen [des Souveräns: Rat und Volk]. Er war der grösste Freund des Friedens. Wo es aber für das Vaterland zu kämpfen galt, wollte er nicht, dass die Feinde wegen seiner Untätigkeit unverschämt prahlen konnten. Sobald aber deren Kräfte zusammengebrochen und überwunden waren, mahnte er nachdrücklich zur Schonung.» Klaus von Flüe nahm jedoch als Offizier mindestens an zwei Kriegen Teil: Alter Zürichkrieg (1440–50) und Thur­gauerkrieg (1460, Dominikanerinnen-Kloster Katharinental bei Diessenhofen, Bericht von Priorin Ursula von Rappenstein, alias Mötteli, Quelle 307).
  
  
Ihr sollt auch das Leiden Gottes in Eurem Herzen tragen, denn es ist für den Menschen der grösste Halt an seinem letzten Ende. (Brief an den Rat von Bern, Quelle 031). Im Originaltest heisst es «trost», was im älteren Deutsch mehrere Bedeutungen hat: Trost, Halt, Sicherheit, Er­wartung, Zuversicht, Mut, freudvolle Zuversicht. Und wei­ter in diesem Brief: «… dabei sei Euch die Weisheit das Allerliebste, denn mit ihr ver­läuft alles zum Besten [alles wird gut]. Friede ist immer in Gott, denn Gott ist der Frie­de. Friede kann nicht vernichtet werden, Unfriede aber wird zerstört.»
  
  
Die eindrucksvollste Quelle über den Einsiedler im Ranft, Bruder Klaus, ist die Erzählung der «Brunnenvision» in der Engelbergversion, überliefert durch den Enkel Caspar am Büel (Quelle 068). Bruder Klaus tritt ein in einen Palast, wie in einen Tabernakel, geht ein kurze Treppe hinauf und findet in­nen einen grossen Brunnenkasten, aus dem ein Mischung aus Wein, Öl und Honig fliesst. Und obwohl es immerfort fliesst, bleibt der Kasten «wimpern­voll», verliert nicht ein bisschen seines Inhalts. Der In­halt ist ohne Mass, ohne Zahl. Diesen Brunnen finden die Menschen, wenn sie sich nach innen kehren, sich in die Tiefe ihrer Seele fort­be­wegen. Und wenn sie es nicht mehr «mit eigenen Füssen» können, müssen sie sich tragen lassen. Der Brunnen ist die Quelle des Guten, das aus Gott strömt und sich den Menschen mitteilt, die sich dem öffnen. Doch Bruder Klaus ist allein in die­sem Tabernakel. Draussen sind die Menschen mit allerlei Dingen beschäftigt, um an etwas Zählbares heranzukommen. Ihr Lebensinhalt ist die Jagd nach der Zahl. Wie sie sich auch abmühen, es gelingt ihnen letztlich nicht und sie bleiben arm. Zum Brunnen gehen sie nicht, um aus ihm das Wertvolle zu schöpfen, den Sinn und das Glück. – Und heute? Was können uns diese mahnenden, ja geradezu apo­kalyptischen Worte sagen? Sie werden nicht allen gefallen, die sie hören oder lesen.
  
  
Es ist schon erstaunlich: Unverhofft entdeckte ein Arzt mit Röntgen­strahlen ein verschollenes Portrait, das sehr dem des Burgunder Her­zogs Karl des Kühnen (1433–1477) gleicht. Dies geschah 1947 in Engelberg. Der Arzt war Dr. med. Eugen Hess. Eigentlich war das Bild ins Kloster Engelberg zu Bruder Hermann Keller gebracht worden, damit es gründlich restauriert werde. Es handelte sich um das Meditationsbild von Bruder Klaus, das lange nur das «tuoch» genannt wurde. Es war mit Tem­pe­ra­farben auf Leinen gemalt worden und liess sich darum gut zu­sammenrollen. Als Tafel gefasst wurde das «Tuch» erst 1611. RoentgenbildDer Mönch hatte die Vermu­tung, dass das zentrale Rund­bild früher übermalt wurde. Die Neu­gier­de bewog ihn, das Bild in die Arztpraxis zu brin­gen, um es röntgen zu las­sen. Und siehe da, unter den oberen Farbschichten wurde plötzlich ein ganz anderes Ge­sicht sichtbar. Die Neu­gier­de des Mönchs erwies sich als Glücks­fall. Wur­de auf der un­ter­sten Schicht wirk­lich einst Karl der Kühne ab­ge­bildet? Und wo­zu?
(• grössere Abbildung)
  
  
Welches Gottesbild leitete das spirituelle Leben von Bruder Klaus? Welche Gedanken machte er über Gott und den Menschen?
  
  
Bruder Klaus diktierte seine Briefe oft mit dem Anfang: «Der Name Jesus sei Euer Gruss!» (… der nam Jhesu sig [sigy] uwer gruoß). Der Name «Jesus» wird im Hebräischen, in der Sprache der Bibel, anders ge­schrieben und ausgesprochen: nämlich «Jeschajahu(h)». «Jescha» be­deu­tet Hilfe. Jahuh ist Jahweh, der alleinige Gott der Hebräer, der Israeliten. Der Name «Elijah» lautet übersetzt: Mein Gott ist Jahweh, und ähnlich «Joel»: Jahweh ist Gott.
  
  
«Ihr sollt auch das Leiden Gottes in Eurem Herzen tragen, denn es ist für den Menschen die grösste Sicherheit (Trost) an seinem letzten Ende.» Dies liess Bruder Klaus 1482 an den Rat von Bern schreiben. Weitere markante Sätze in diesem Brief: «Darum sollt Ihr darauf achten, dass Ihr aufeinander hört, dabei sei Euch die Weisheit das Allerliebste, denn mit ihr verläuft alles zum besten.» und: «Friede ist immer in Gott (Frid ist allwegen in Gott), denn Gott ist der Friede. Friede kann nicht vernichtet werden, Unfriede aber wird zerstört.» (Quelle 031)
  
  
Geburtsdatum 21. März 1417?
  
  
Die Domini Canes und ihre Grenzen
  
  
Und Dorothea, die Ehefrau? – Ein Drama
  
  
War vielleicht Klaus von Flüe doch ein Ketzer?
  
  
Das Leiden Gottes?
  
  
Der vergessene Sohn
  
  
Sakralbauten wurden im Mittelalter auf einen oder mehrere Ehrentitel geweiht. Welche Titel hatte nun die Ranftkapelle mit dem Weihedatum 27. April 1469? – Abschriften zweier Urkunden durch Johann Joachim Eichhorn (Quelle 004) nennen vier Titel: Selige Jungfrau Maria (Mutter Jesu), heilige Maria Magdalena, Kreuz­erhöhung und die 10’000 Martyrer (wörtlich im Genitiv: Martyrum, also nicht equitum oder militum = Ritter).
  
  
Stanser Verkommnis 1481
  
  
«Friede kann nicht vernichtet werden, Unfriede aber wird zerstört. Darum sollt ihr darauf bedacht sein, dass ihr immer den Frieden im Auge behaltet …»

  
  
Dorothea – Name und Todesjahr
  
  
Wohin sollte die Reise gehen? Liestal und dann?
  
  
«Zu Betlehem geboren/ ist uns ein Kindelein./ Das hab ich auserkoren,/ sein eigen will ich sein. …» (Schweiz: KGB 337, ErGB 398, Deutschland: GL 140). Der Text dieses Weihnachtsliedes wurde 1637 von Friedrich Spee verfasst. Es steht zweifellos in der Spiritualität der lutherischen Pietisten, die nachweislich Bruder Klaus verehrten und sein besonderes Gebet kann­ten. Der hebräische Name «Bethlehem» (korrekt mit th wie im grie­chischen Original des Neuen Testaments: Βηθλέεμ) bzw. «Beth Lechem» (ara­bisch: Bait Lahm) bedeutet: Haus des Brotes, Brothausen. – Ein weiteres, artverwandtes Gebet stammt aus der Schweiz:
  
  
Die Brunnenvision erzählt von der Macht Gottes
  
  
«Dorothea» oder «Dorothee»?
  
  
Das Dritte Wunder
  
  
Frieden – Unfrieden
  
  

  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
    
  
  
  
  
  
  
Romanshorn, Salmsach: Wappen und Namen
  
Brunnenvision