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Drei Visionen nach Caspar am Büel (Ambühl)
Quelle Nr. 068
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Zeit: vor 1500
Herkunft: Luzern, Bibliothek des Kapuzinerklosters Wesemlin: Leben der heiligen Altväter, deutsche Inkunabel Kod. 32b (um 1480 o. Ort ?), handgeschriebener Anhang, zweispaltiger Text auf drei Blättern, fol. 1r–3v [vermutlich in Engelberg kurz vor 1500 handschriftlich festgehalten]
Kommentar: Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurden drei Visonsberichte, überliefert durch Caspar am Büel (neudeutsch: Ambühl), schriftlich festgehalten. Das Buch, in dem die Handschrift als Anhang enthalten ist, trägt vorne den ursprünglichen Eigentumsvermerk aus dem 18. Jahrhundert: «Das Buch gehört den Klosterfrauen zu Stans bey S. Klara». Der Schluss ist eher keine Unterschrift vielmehr ein Memorial. Caspar am Büel hat also den Text nicht selbst geschrieben, muss aber dem oder der Schreibenden ziemlich nahe gestanden sein. Die Handschrift war lange verschollen, bis sie der Kapuziner P. Adalbert Wagner im Kloster Wesemlin in Luzern entdeckte – erstmals publiziert 1928. Dass es dieses Manuskript geben musste, war vorher schon offensichtlich, denn die meisten Biographen nach 1500 schreiben von diesen Visionen. – Dreimal ist in diesem Bericht die Rede davon, dass Bruder Klaus ein «Gesicht» hatte. Das bedeutet schlichtweg: Er hatte etwas Ausserordentliches gesehen, oder: Er hatte eine Vision, oder für heutige Zeiten verständlicher: Er hatte einen Traum (eine Vision, eine Imagination). Er erlebte in seinem Innern ein Geschehen, das kaum in Worte gefasst werden konnte. Um es dennoch irgendwie tun zu können, musste er zu Metaphern, d.h. zu Bildern greifen, die aus der Alltagssprache entlehnt waren und die das Neue nur ungefähr beschreiben konnten. Dieses Reden von inneren Erfahrungen ist im Bericht Ambühls sehr gut gelungen. Mithin gehört er sicher zu den schönsten Texten der Bruder-Klaus-Literatur. Alle drei Träume sind in einer inneren Schau unmittelbare Gotteserlebnisse, aufbauend auf dem bereits vorhandenen Glaubensgut. Bezeichnend ist darum, dass darin immer darauf hingewiesen wird, dass Gott dreifaltig und dreieinig ist. – Eine echte Vision ist immer ein Gleichnis und nichts anderes. – Typisch für Bruder Klaus ist in allen drei Erzählungen der vorausgehende Hinweis, dass er zu dieser inneren Schau stets im Zusammenhang mit seiner Betrachtung der Passion Christi [Leiden Jesu, Passion Jesu] geführt wurde. Er trug die «Leiden Gottes», seine Marter und seine bittere Pein, in seinem Herzen, und dies trug ihm sogleich als Belohnung einen reichhaltigen, süssen Vorgeschmack des ewigen Lebens ein. – Die beiden letzten Versionen sind als Metallplastiken umgesetzt auf dem «Weg der Visionen» (Wander- und Meditationsweg vom Flüeli nach Sachseln). Wer hatte nun den Visionsbericht auf drei leeren Seiten der Inkunabel «Vom Leben der Altväter» handschriftlich hinzugefügt? Oder wurden diese Blätter als Fragment zusammen mit dem Frühdruck später neu eingebunden? Letzteres ist eher wahrscheinlich. Jedenfalls fehlt ein vorausgehender Textteil, wie gross auch immer. – Verena von Flüe, Tochter von Bruder Klaus, heiratete nach ihrer Verwitwung in Altsellen (nahe Engelberg) ein zweites Mal, einen Hensli Onofrius (eigentlich ein Vorname) in Altsellen; der Name der Sippe war «am Büel» (spätere neudeutsche Form «Ambühl»); aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor (vgl. Robert Durrer, Bruder Klaus Quellenwerk, 28 und ebda. Anm. 11 – Jahrzeitenbuch Engelberg des Pater Kaspar Gross, 1491: 5. Mai; vgl. auch hier online Quelle 050 sowie Quelle 080 – vgl. auch: Anselm Keel, Rat aus der Tiefe, Zürich 1981, 181). Als Autor, bzw. Überlieferer des Berichts von drei Visionen des Einsiedlers Klaus von Flüe, gilt Caspar am Büel (Ambühl). Ob es sich aber um seine Handschrift handelt, ist nicht sicher, wohl aber dass er in der mündlichen Überlieferung innerhalb der Familie kurz vor der Niederschrift den Inhalt vorgab. Wer könnte denn dann den Visionsbericht schriftlich festgehalten haben? Der Pfarrer von Wolfenschiessen – ab 1465 selbstständige Pfarrei mit eigenem Besetzungsrecht? Wohl eher nicht. Die seelsorgerliche Betreuung von Volk und Kapelle St. Joder in Alstsellen, die heute zur Pfarrei Wolfenschiessen gehört, wurde damals grösstenteils vom Kloster Engelberg aus geleistet. Es könnte also durchaus sein, dass die Niederschrift ein Pater aus dem Benediktinerkloster Engelberg besorgte, etwa P. Kaspar Gross, der auch um 1491 das Jahrzeitenbuch führte, mit Aufzeichnungen betreffend Kapelle in Altsellen (siehe oben). Das erscheint sehr plausibel. Vielleicht wurde der Visionsbericht aber auch von einer Nonne des Konvents St. Andreas in Engelberg niedergeschrieben. Etwa aus der Sippe namens «am Büel»? Wie gelangten später die drei Blätter in das Frauenkloster St. Klara in Stans? 1615 werden die ersten Franziskaner-Schwestern (bzw. Kapuzinerinnen) durch den päpstlichen Nuntius in Stans eingekleidet. Ebenfalls 1615 wird der Frauenkonvent der Benediktinerinnen St. Andreas von Engelberg nach Sarnen verlegt. Vielleicht gibt es da einen Zusammenhang. – Um hier Genaueres in Erfahrung zu bringen, wären Handschriftenvergleiche des Berichts und des oben erwähnten Jahrzeitenbuches notwendig sowie materialtechnische Untersuchungen. Die Imaginationen (Entstehung von lebenden Bildern in der Seele) gehen in diesem Bericht jedoch über das Visuelle hinaus und enthalten sehr eindrückliche auditive (akustische) Elemente, wunderschöne Klangbilder, die sich teilweise kaum in Worte umsetzen lassen, man muss sie mit den Sinnen der Seele erleben. Eine Imagination kann eben beides miteinander vereint beinhalten: die Vision und die Audition. Besonders bemerkenswert ist diesbezüglich in der «Pilgervision» die Erwähnung eines akustischen Phänomens, das eigentlich nur geschulte Musiker kennen – in diesem Fall geht es um die Orgel. Jeder Ton schwingt nicht nur in der eigenen Frequenz sondern hat dazu noch Oberwellen, die je eine und mehrere Oktaven höher liegen. Bei der Orgel bedeutet dies, dass die Pfeifen der oberen Oktaven mitschwingen. «…do hielt im die stim die gegni…», so hätte man damals vorab Johann Sebastian Bachs Kontrapunkt definieren können. Die hier eingeflossenen Kenntnisse der Musik verraten wohl auch etwas über den Schreibenden – vermutlich eben doch ein Mönch. Oder eine Schwester, die Orgel spielen konnte? Jedenfalls besassen im 15. Jahrhundert Landpfarreien kaum eine Orgel. Bei den Benediktinermönchen in Engelberg wird eine Orgel erstmals um 1300 erwähnt. Auch um 1500 dürfte die dortige Orgel weitherum einmalig gewesen sein. – Des weiteren bedeutet eine solche Ausschmückung der Erzählung, wie sie höchstwahrscheinlich nicht von Bruder Klaus in dieser Art geäussert wurde, dass bis zur Endfassung der mündlichen Überlieferung zusätzliche erzählerische Kommentare und Umformulierungen miteingeflossen waren, welche einen Sitz im Leben der Überlieferer und des Schreibenden haben. Das in der Brunnenvision vorkommende Horn muss sehr laut getönt haben, offensichtlich lauter als ein damals gebräuchliches Signalhorn (Rinder- oder Widderhorn) oder einem damals beliebten Instrument der Strassenmusikanten, dem Krummhorn. Etwas vor 1500 ist auch in der Innerschweiz ein Novum zu finden: das Alphorn – vermutlich noch nicht spezifisch mit dieser Bezeichnung. In einer echoreichen Umgebung tönt dieses Horn recht gewaltig. Es könnte nun sogar sein, dass hier erstmals überhaupt ein solches Instrument schriftlich erwähnt wird. Zu den einzelnen Visionen: 1. Traum: Der singende Wanderer [Pilgervision] – Im ersten Traum begegnet Bruder Klaus einem Pilger [Wanderer], der mehrmals sein Aussehen ändert. Er kommt aus der Richtung, in der im Sommer die Sonne aufgeht. Sogleich beginnt er das Halleluja zu singen. Bruder Klaus nimmt am innergöttlichen Dialog teil, er hört drei vollkommene Worte, die deutlich zu unterscheiden sind, und trotzdem kann er hinterher nicht anders, als von einem einzigen Wort sprechen. Hier wird die Dreifaltigkeit, bzw. Dreieinigkeit Gottes erfahren. Die ganze Schöpfung schwingt in diesen Tönen mit, sie stimmt ein in eine wohlklingende, allesumspannende Harmonie. Dann hält der Wanderer seinen Hut hin. Bruder Klaus gibt ihm einen Pfennig. Und, was wichtig ist, er weiss selbst nicht einmal, wie die Münze in seine Hand gekommen ist. Das will sagen: Was der Mensch Gott gibt, ist nicht sein eigenes Verdienst, das hat er selber vorher geschenkt bekommen. Der Mensch kann und soll Gott nur seine Aufmerksamkeit schenken, alles weitere vollbringt Gott selbst. Der Pilger wechselt seine Kleidung und erscheint nun als stattlicher Edelmann in grösster Herrlichkeit. Bei diesem Anblick neigt sich der Pilatusberg in Ehrfurcht bis zur Erde, und zugleich wird die Sünde der Menschen offenbar, die offensichtlich darin besteht, dass sie die Wahrheit nicht ertragen wollen, die darum hinter ihrem Rücken erscheint; die Menschen haben ihr Gesicht von der Wahrheit abgewendet (vgl. Jer 32,33). Ihr Egoismus ist ein so gewaltiges Geschwür an ihrem Herzen, dass sie die Wahrheit nicht sehen können. Die Wahrheit ist hier Christus selbst (Joh 14,6), das Wort Gottes, der menschgewordene Gottessohn, der unter den Menschen leidet und darum jetzt auch in entsprechendem Aussehen erscheint, blutüberströmt, wie es sich im Tuch der Veronika abbildet. Passion und Sterben werden aber überwunden, der auf Erden pilgernde Gott steht nun als grosser Sieger in der goldbesetzten, blitzenden Bärenhaut da – Symbol der Auferstehung. Dann wechselt er wieder zum Pilgergewand und verabschiedet sich von Bruder Klaus. Dieses Gotteserlebnis erfüllte den Einsiedler mit so unbeschreiblichem Glücksgefühl, dass er nichts anderes mehr begehrte, als an der Erinnerung dieses Geschehens festzuhalten. Es erschien ihm, als hätte er jetzt alles gesehen, alles im Himmel und auf der Erde. Weiteres im Beitrag «Der singende Wandererer …» 2. Traum: Der Brunnen des Überflusses [Brunnenvision] – Mitten auf einem Dorfplatz steht ein schönes Haus, hoch und schlank wie ein Turm, wie ein gotischer Tabernakel. Die Türe ist offen, Bruder Klaus und ein paar wenige treten ein. Drinnen erkennt er sehr schnell einen höchst eigenartigen Brunnen. Bevor er sich über die genaue Gestalt dieses Brunnen vergewissern will, prüft er den flüssigen Inhalt, der die vier Stufen herabfliesst. Erstaunt stellt er fest, dass er aus dreierlei besteht, aber so gemischt ist, dass die drei Substanzen für sich allein erkennbar sind: Wein, Öl und Honig. Diese drei lassen einen Bezug zur Dreifaltigkeit Gottes vermuten: Der Wein ist dann dem Vater zugeordnet, das Öl dem zum Priester und Messiaskönig gesalbten Sohn, der Honig schliesslich dem Band der innergöttlichen Liebe, dem Heiligen Geist. Aber das Brunnenerlebnis von Bruder Klaus ist darüber hinaus auch ein Pfingsterlebnis, in Anlehnung an den Hymnus aus dem 9. Jahrhundert «Veni, Creator Spiritus» (Komm Schöpfergeist). Darin wird in der zweiten Strophe der Geist Gottes ein «lebendiger Brunnen» genannt und daran anschliessend «Feuer» (Wein), «Liebe» (Honig) und «Seelensalbung» (Öl). Ein weiterer Kommentar befindet sich im Beitrag «Die Brunnenvision». – Bruder Klaus will dem Brunnen völlig «auf den Grund gehen», doch das Hinschreiten ist nicht möglich, er würde nämlich wie in einem Sumpf versinken, er muss darum auf die Kraft seiner Füsse verzichten und sich tragen lassen. Unmissverständlich bedeutet dieser Brunnen Gott selbst, und das, was herausfliesst, ist die verströmende Gnade - Gott verschenkt seinen unermesslichen Reichtum an die Menschen. Wie voll aber ist dieser Brunnen wirklich, dessen Inhalt so klar und transparent ist wie nichts anderes? Randvoll? Das wäre eine Untertreibung. Er ist übervoll. Oben und seitlich, aus allen Ritzen zischen haarfeine Strahlen hervor. Der Brunnen ist «wimpernvoll». Zwei Bilder für Gottes Wesen vermischen sich, einer alten Tradition folgend. In der alten jüdischen Frömmigkeit ist nämlich Gott die Quelle des Überflusses – ajin schepha –, und das hebräische Wort «ajin», das «Quelle» oder «Brunnen» bedeutet, wird auch gebraucht für «Auge». Dass der Brunnen hier aber nicht etwa eine runde Form hat, sondern viereckig ist, tut dem schönen Bild keinen Abbruch. Bruder Klaus begegnet also auch hier Gott Aug in Auge. – Die Gottesbegegnung ist eingebettet in den gewöhnlichen Alltag. In Raum und Zeit ereignet sie sich mitten im Leben der Menschen. Auf den gemeinen Plätzen der Welt ist ein buntes Treiben zu beobachten. Wie Ameisen laufen die Menschen umher, und trotz ihrer zwanghaften Geschäftigkeit bringen sie es zu nichts. Bruder Klaus aber ist ein freier Mensch und neugierig obendrein. So ist er in idealer Weise offen für den verborgenen Sinn des Lebens, offen für die Gabe der prophetischen Schau, die allen Menschen gegeben ist. Doch wenige nützen ihre Möglichkeiten, ihre verborgenen Talente. Als Kontrast zeichnet sich darum sofort eine handfeste Sozialkritik ab. Alles dreht sich ums Geld. Nicht nur gewöhnliche Arbeiten und Dienstleistungen müssen entsprechend beglichen werden, die Menschen erfinden immer neue Wege, um an das Geld heranzukommen. Wie sehr sie sich aber auch abmühen, ja wenn sie sogar ihre Anstrengungen verdoppeln oder verdreifachen würden, am Ende schaut nichts dabei heraus, alle Menschen bleiben in dieser Lebensweise letztlich mausarm. Eine alte Weisheit wird hier aktuell: Geld allein bringt's nicht, macht nicht wesentlich reich und schon gar nicht glücklich. Doch oft sieht es so aus, als ob das Geld und das Leben gegeneinander auf einer Waage liegen, und sich diese immer dort senkt, wo das Geld ist. Die Welt, in der das Geld waltet, in der das Geld eine Ausdrucksform von Gewalt ist, diese Welt erweist sich letztlich als nichtige Gegenwelt zur friedlichen Schöpfung Gottes, ja als blosse Scheinwelt der Halbwahrheiten. Aber die Stimme Gottes ertönt nicht mitten im marktschreierischen Lärm der Strasse (Jes 42,2). – Die Brunnenvision des Ranfteremiten hat übrigens zweifellos sein biblisches Vorbild in der entsprechenden Vision des Propheten Ezechiel (Ez 47,1–12) und wird zudem um 1488 ikonographisch belegt durch einen Holzschnitt im «Pilgertraktat» (Quelle 048). – Weitere Bibelstellen: «Auf ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser! Auch wer kein Geld hat, soll kommen.» (Jes 55,1) «Die Wasser eines Stromes erquicken die Gottesstadt, des Höchsten heilige Wohnung; Gott ist in ihrer Mitte.» (Ps 46,5–6) «All meine Quellen entspringen in dir.» (Ps 87,7; vgl. auch Hld 4,12–15) «... wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt, wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt. » (Joh 4,14) 3. Traum: Gott dankt dem Menschen [Dankesvision] – Im dritten Traum begegnet Bruder Klaus in einem stattlichen Palast nacheinander vier Personen. Von der ersten hört er jedoch nur die Stimme, und, was sie spricht, ähnelt der Redensweise eines Anwalts. Es ist der Heilige Geist, der Helfer und Beistand, der den Gläubigen in die volle Wahrheit einführt (Joh 16,7–15). Dieser fordert nun Gottvater auf, ihm – also Bruder Klaus – dafür zu danken, weil er seinem Sohn in dessen Leiden und Sterben am Kreuz so sehr zu Hilfe gekommen ist. Gottvater umarmt Bruder Klaus in herzlicher Liebe. Das gleiche tut auch eine schöne, weiss gekleidete Frau – Maria – und schliesslich der Sohn selber. – Oft wird beanstandet, dass hier Maria auf gleicher Ebene stehe wie Gott. Eine solche enge Systematik muss aber nicht zwangsweise hineingedeutet werden. Denn die Erzählung setzt vier andere Schwerpunkte: 1. Der menschgewordene Gott leidet und stirbt am Kreuz für die Menschen. 2. Der so von Gott her erlöste Mensch schuldet Gott alles, vor allem aber, dass er diesem Erlösungsgeschehen grösste Aufmerksamkeit widmet. 3. Gott antwortet darauf, indem er den Menschen mit dem grösstmöglichen Reichtum beschenkt, mit seiner «herzlichen» Liebe. Ein Stück weit erlebt Bruder Klaus in diesem Traum die himmlische Liturgie. Diese gleichsam auf Vorschuss erlebte Belohnung passt genau zu einem Satz im berühmten Brief des Eremiten an den Rat von Bern (Quelle 031): «Ihr sollt auch das Leiden Gottes in Eurem Herzen tragen, denn es ist für den Menschen die grösste Sicherheit an seinem letzten Ende.» 4. Dieser Weg des Glaubens führt auch zu einer herzlichen Verbundenheit unter den Menschen, hier repräsentiert durch Maria, ihre Königin. Ihr Herz ist zudem der Prototyp, das Urbild der «Hauskirche» (vgl. Ambrosius, Erklärungen zum Lukasevangelium 2,7).– Zu dieser Vision finden wir Motiv-Parallelen in den geistlichen Werken von Johann Sebastian Bach. In seinem Weihnachtsoratorium (Libretto wahrscheinlich von Christian Friedrich Henrici) hat das «Jesulein» sein «rein sanft Bettelein» im Schrein des Herzens (Nr. 9). Hier, «in meiner Brust», wohnt «der neu geborene König der Juden», den die Weisen aus dem Morgenland suchen (Nr. 45), und diese «Herzensstube» wird durch die Gnade Gottes zum «Fürstensaal» umgebaut, worin Jesus seinen Thron hat (Nr. 52 und 53). Und in der Matthäuspassion ist das Herz der Gral, die Opferschale, der Kelch des Leidens (Nr. 13 und 52, Text ebenfalls von C.F. Henrici), welcher das Herzblut Jesu auffängt; am Ende ist es auch das Ruhebett, das Grab, in das der tote Jesus gelegt wird (Nr. 65). Schliesslich wird das Herz, in dem sich die Auferstehung ereignet, wieder zum Tabernakel, zum Thronsaal: «Erfreut euch ihr Herzen,/ Entweichet ihr Schmerzen,/ Es lebet der Heiland und herrschet in euch ...» (Osterkantate, Text von Christian Friedrich Hunold). – Dem Gottessohn zu Hilfe kommen in seinem Leiden, ihn aufheben und ihn im Herzen tragen, auch das wird in Bachs Matthäuspassion besungen: «Wenn dein Herz wird erblassen,/ Im letzten Todesstoss,/ Alsdenn will ich dich fassen/ In meinen Arm und Schoss» (Nr. 17, Text von Paul Gerhardt) und weiter: «Ach, könnte meine Liebe dir,/ Mein Heil, dein Zittern und dein Zagen/ Vermindern oder helfen tragen,/ Wie gerne blieb ich hier!» (Nr. 19, Text: C.F. Henrici). Bruder Klaus ein Gottes-Gebärer? – Leider ist Roland Gröbli bei seiner Übersetzung an einer Stelle der «Dankesvision» ein nicht unbedeutender Fehler unterlaufen (Die Sehnsucht nach dem «Einig Wesen», Zürich 2. Aufl. 1991, 220 u. 239): «[Dieser] hielt seine Rede und sagte: Hier ist jener, der dir deinen Sohn getragen und geboren hat ...» – Dieser Wortgebrauch dünkt Viele interessant und wird oft fraglos übernommen, besonders wenn er sehr gut in das Konzept einer Ideologie passt. Man darf nicht mit aller Gewalt versuchen, Bruder Klaus ganz «linientreu» in irgendwelche mystische Konzepte zu pressen und die Originalität des Eremiten im Ranft dadurch einzuschränken. – Im Originaltext (Rupert Amschwand, Ergänzungsband, 31) heisst es: «Diß ist der, der dier din sun gelüft und geburt [gebürt] hat ...» – «gelüft» ist ein Partizip perfekt entsprechend der Grundform «lüpfen» (lupfen) = «aufheben», «emporheben». – «geburt» [gebürt] ist sodann nicht etwa das Partizip perfekt von «gebären» sondern von «bürden» = «tragen». Der Umgang mit der damaligen deutschen Sprache lässt keine andere Möglichkeit der Übersetzung zu, auch wenn unser heutiges Substantiv «Geburt» entsprechend geschrieben wird. Bei den abgeleiteten Verbformen muss man immer auf deren Grundform zurückgehen. Bruder Klaus hat also nicht den «Sohn» geboren – was überhaupt nicht zum Kontext passen würde – sondern «nur» getragen. Dieses Tragen ist ein Mitleiden, das Mitgehen mit der Passion Jesu – «… das Leiden Gottes im Herzen tragen.» (Brief an den Rat von Bern, Quelle 031). Dazu passen auch die 15 Passionsbetrachtungen (Quelle 055). – Auch Meister Eckhart (Dominikaner, Vertreter der «Deutschen Mystik») sagte übrigens nie, dass der einfache Mensch – ausser Maria – Gott, bzw. den Sohn Gottes, gebären könne. Vielmehr vertrat er diese Ansicht bezüglich «Gottesgeburt»: «Wenn die Seele der Zeit und des Raumes ledig ist, so sendet der Vater seinen Sohn in die Seele». (Udo Kern, «Gottes Sein ist mein Leben» - Philosophische Brocken bei Meister Eckhart, Berlin 2003, 248). – Weiteres zur Dankesvision im Beitrag «Gott dankt dem Menschen»
Referenz: Rupert Amschwand, Ergänzungsband, 28–31 – neusprachliche Übersetzung von Werner T. Huber
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[ 1. Die Vision des singenden Wanderers – Pilgervision ] [Er hatte einen Traum. Der vorausgehende Text fehlt.] … da dünkte es ihn in seinem Geiste, als ob da einer daherkäme, der aussah wie ein Pilger [Wanderer]. In seiner Hand hielt er einen Stab. Sein Hut war aufgesetzt und hinten nach unten gebogen wie bei einem, der gerade zur Reise aufbricht. Zudem war er mit einem Mantel bekleidet. In seinem Geiste erkannte er, dass dieser vom Sonnenaufgang herkam, von weit her. Obwohl er es nicht sagte, kam er von da her, wo die Sonne im Sommer aufgeht. Er kam nun auf ihn zu, trat vor ihn hin und sang dieses Wort: «Alleluja.» So begann er zu singen, und eine Musik begleitete ihn. Die Schöpfung, ja, alles, was zwischen Himmel und Erde war, sang mit, so wie bei der Orgel die kleinen Pfeifen mit den grossen mitschwingen. Aus einem einzigen Ursprung hörte er drei vollkommene Worte ausgehen und sogleich wieder zurückkehren, so wie eine Feder in einem Schloss heftig vorschiesst. Er hörte drei vollkommene Worte, und, obwohl keines der Worte das andere berührte, konnte er doch nur ein einziges Wort erkennen. Nach diesem Gesang bat er den Menschen um eine Gabe. Dieser hatte nun plötzlich einen Pfennig in der Hand, wusste aber gar nicht, wie dies möglich sein konnte. Der Pilger zog den Hut und empfing den Pfennig in seinen Hut. Und der Mensch wusste bisher nicht, dass es eine solche Ehre sei, eine Gabe in den Hut zu empfangen. Doch den Menschen wunderte es sehr, wer denn dieser sei und woher er gekommen sei. Jener sprach aber nur: «Ich komme von dort her.» Und weiter wollte er nichts sagen. Als er so vor ihm stand, verwandelte er sich. Er liess sich sehen mit entblösstem Haupt und einem Rock in blauer oder grauer Farbe. Den Mantel konnte er nicht mehr sehen. Er war ein derart edler, wohlgestalteter Mann, dass es eine wahre Freude war, ihn anzuschauen. Sein Antlitz war braun, was ihn vornehm zierte. Seine Augen waren schwarz wie der Magnetstein. Seine Glieder waren so wohlgeformt, dass es ihm ein besonders stattliches Aussehen verlieh. Obwohl er in seinen Kleidern dastand, hinderten diese nicht daran, seine Glieder anzuschauen. Als er ihn so unverdrossen ansah, war sein Blick völlig gefesselt. Er geschahen viele grosse Wunder: Der Pilatusberg neigte sich nieder bis auf die Erde, und es öffnete sich das Innere der Erde, so dass es ihm vorkam, als ob alle Sünden der Welt offenbar wurden. Es war nun eine grosse Menschenmenge zu sehen, und hinter ihrem Rücken erschien die Wahrheit. Alle hatten ihr Gesicht von der Wahrheit abgewendet. Jedermann hatte an seinem Herzen ein grosses Geschwür – etwa zwei Fäuste gross. Dieses Geschwür war der Eigennutz, und es war ein solches Übel, dass sie den Anblick des edlen Mannes nicht ertragen konnten, so wenig wie der Mensch die Feuerflammen ertragen kann. Von einer schrecklichen Angst getrieben, fuhren sie umher, verunstaltet durch Laster und Schandtaten. So konnte er sie von ferne dahinfahren sehen. Aber die Wahrheit hinter ihrem Rücken verwandelte sich und sah aus wie das Bild im Schweisstuch der Veronika. Er war ganz ergriffen davon und wollte dieses Bild endlos anschauen. Aber plötzlich sah er ihn wieder so wie am Anfang. Sein Gewand war verwandelt, er war jetzt bekleidet mit einer Hose und einem Rock aus Bärenhaut. Die Bärenmütze war goldgesprengt. Jedenfalls sah er es deutlich, dass es eine Bärenhaut war. Diese stand ihm äusserst gut an, so dass der Mensch es sehen und erkennen konnte, welch besondere Zierde an ihm war. Als er so vor ihm stand, verlieh ihm die Bärenhaut ein vornehmes Aussehen, und er erkannte dadurch, dass er sich von ihm verabschieden wollte. Er fragte: «Wohin gehst du?» Jener antwortete: «Ich will das Land hinauf.» Und weiter wollte er ihm nichts sagen. Als er sich von ihm verabschiedete, sah er ihm beharrlich hinterher. Da sah er, wie die Bärenhaut an ihm blitzte, mehr oder weniger, wie wenn jemand mit einer blank polierten Waffenrüstung dahinfährt. Bei diesem Blitzen an der Wand dachte er bei sich, dass ihm solches bisher immer verborgen geblieben war. Als er sich etwa vier Schritte entfernte, drehte er sich um und hatte plötzlich den Hut aufgesetzt. Er zog ihn, verneigte sich und zeigte ihm sein Wohlwollen. Da erkannte er an ihm eine solche Liebe, die er ihm entgegenbrachte, dass er davon ganz niedergeschlagen war, denn er erkannte, dass er diese Liebe nicht verdient hatte. Aber er sah an ihm diese Liebe. Darauf sah er in seinem Geiste, dass sein eigenes Gesicht, seine Augen und sein ganzer Leib voller liebreicher Demut waren, gleichsam wie ein Krug, der bis oben hin mit Honig gefüllt ist, so dass kein Tropfen mehr darin Platz hat. Von da an sah er den edlen Mann nicht mehr. Aber es genügte ihm völlig, und er wünschte sich nichts weiter von ihm. Es dünkte ihn, als ob dieser ihm alles gezeigt hatte, was im Himmel und auf Erden war. [ 2. Die Brunnenvision ] Ein Mensch unterbrach seinen Schlaf, wie es Gottes Wille war, um sein Leiden [Passion Jesu] zu betrachten. Er dankte Gott wegen seines Leidens und seines Martyriums. Gott aber gab ihm die Gnade, dass er darin Kurzweil und Freude hatte. Dann legte er sich wieder zur Ruhe. Doch in seinem Schlaf oder in seinem Geist dünkte es ihn, als ob er auf einem Dorfplatz stünde. Hier sah er eine grosse Zahl von Menschen, die alle hart arbeiteten und trotzdem so arm waren. Er stand da und schaute ihnen zu und wunderte sich sehr, dass sie so viel arbeiteten und dennoch so arm waren. Plötzlich zeigte sich auf der rechten Seite ein Tabernakel, wohlerbaut. Eine offene Türe führte hinein. Und er dachte bei sich: Du musst in den Tabernakel hineingehen, du musst schauen, was sich drinnen befindet und musst schnell durch die Türe eintreten. Er kam in eine Küche, die einer ganzen Gemeinde gehörte. Zur rechten Hand führte eine Treppe hinauf, vielleicht vier Stufen hoch. Ein paar Leute sah er hinaufgehen aber nur wenige. Ihm schien, ihre Kleider seien weiss gesprenkelt. Er bemerkte, wie die Stufen herab, zur Küche hin, ein Brunnen in einen grossen Trog floss. Dieser enthielt dreierlei: Wein, Öl und Honig. Dieser Brunnen bewegte sich so schnell wie der Blitz und entfachte ein brüllendes Tosen, so dass der Palast laut erschallte wie ein Horn. Und er dachte bei sich: Du musst die Treppe hinaufsteigen und schauen, von woher der Brunnen kommt. Zugleich wunderte er sich sehr, dass die Leute so arm waren und nicht zum Brunnen kamen, um daraus zu schöpfen, obwohl er doch für alle da war. Mit diesen Gedanken ging er die Stiege hinauf und gelangte in einen weiten Saal. In der Mitte sah er einen viereckigen Kasten stehen, aus dem der Brunnen sich ergoss. Er näherte sich dem Behälter und betrachtete ihn. Während er auf den Kasten zuging, sank er ein, genauso wie wenn man durch einen Sumpf schreiten will. Da zog er schnell die Füsse an sich. Und er erkannte in seinem Geiste, wer nicht schnell seine Füsse an sich zieht, kann nicht zum Brunnenkasten hingelangen. Der Behälter war auf den vier Seiten mit eisernen Blechen beschlagen. Und dieser Brunnen floss durch eine Röhre hindurch, dabei gab es einen so schönen Gesang im Brunnenkasten und in der Röhre, dass es ihn sehr erstaunte. Dieser Brunnen war so klar, dass jedes Menschenhaar auf seinem Boden zu sehen gewesen wäre. Und wie gewaltig er sich auch ergoss, so war doch der Kasten stets wimpernvoll, so dass er unaufhörlich überquoll. Und es dünkte ihn dabei, wieviel auch daraus floss, es war wohl dennoch immer mehr darin. Er sah, wie es aus allen Ritzen tropfte und zischte. Nun dachte er bei sich: Ich will wieder hinabsteigen. Als er das tat, sah er den Brunnen mächtig in den Trog fliessen und meinte: Ich will hinausgehen und schauen, was denn die Leute so sehr beschäftigt, dass sie nicht hineinkommen, um aus dem Brunnen zu schöpfen, worin doch ein so grosser Überfluss ist. Er ging zur Tür hinaus. Dort sah er die Leute schwere Arbeit verrichten, und trotzdem waren sie sehr arm. Nun achtete er genau darauf, was sie denn tun. Da bemerkte er einen, der hatte mitten durch den Platz einen Zaun errichtet, er stand vor einer Schranke und verwehrte mit der Hand den Leuten das Weitergehen. Er sagte ihnen, ich lass euch weder hin- noch hergehen, es sei denn, ihr gebt mir den Pfennig. Ein anderer stand da und jonglierte mit Knebeln, dabei sagte er, es ist dazu erdacht, dass ihr mir den Pfennig gebt. Dann sah er Schneider, Schuhmacher und allerlei Handwerksleute. Und jedesmal, wenn sie ihre Arbeit verrichtet hatten, waren sie hinterher dennoch so arm, wie wenn sie gar nichts bekommen hätten. Niemand sah er hineingehen, um aus dem Brunnen zu schöpfen. Als er dastand und den Leuten zusah, verwandelte sich die Umgebung und bekam die schroffen Umrisse der Gegend bei Bruder Klausens Kapelle, wo er seine Zelle hatte. Und er erkannte in seinem Geiste: Dieser Tabernakel ist Bruder Klaus. [ 3. Die Dankesvision ] Ein Mensch unterbrach seinen Schlaf, wie es Gottes Wille war, um sein Leiden [Passion Jesu] zu betrachten. Er dankte Gott wegen seines Leidens und seines Martyriums. Und Gott gab ihm die Gnade, dass er darin Kurzweil und Freude fand. Dann legte er sich wieder zur Ruhe. Als sein Bewusstsein bereits etwas weg war, er aber glaubte, er schlafe noch nicht, da dünkte es ihn, als ob einer zur Türe eintrete, bald mitten im Haus stehe und ihn mit starker, aber heiterer Stimme anspreche, wie er denn heisse. Er sagte: «Komm und schau deinen Vater, was er tut!» Und es schien ihm, als ob er schnell, wie mit dem Bogen geschossen, in einen schönen Tabernakel, in einen weiten Saal gelangte. Er sah darin einige Leute wohnen, in weissen Kleidern. Und derjenige, der ihn gerufen hatte, stand neben ihm und redete so, wie es normalerweise ein Anwalt tut. Obwohl er sprach, konnte er seine Gestalt nicht sehen. Aber dies wunderte ihn nicht. Er eröffnete jetzt seine Rede: «Dieser ist es, der deinen Sohn aufgehoben und getragen hat und ihm zu Hilfe gekommen ist in seiner Angst und seiner Not, gedenke seiner, danke ihm dafür, sei ihm dankbar!» Da schritt ein schöner, stattlicher Mann durch den Palast mit einer gleissenden Farbe in seinem Antlitz, gekleidet wie ein Priester in einer Albe. Er legte beide Hände auf seine Schultern und drückte ihn an sich, er dankte ihm mit ganz brennender Liebe seines Herzens, dass er seinen Sohn so wohl aufgenommen hatte und ihm zu Hilfe kam in seiner Not. Der Mensch war in sich völlig geschlagen, so sehr erschrak er deswegen, denn er erkannte, dass er unwürdig sei und sagte: «Ich weiss nicht, dass ich deinem Sohn je einen Dienst getan hätte.» Darauf verliess er ihn und er sah ihn nicht mehr. Nun ging eine schöne, stattliche Frau durch den Palast, ebenso weiss gekleidet. Und er bemerkte wohl, dass ihr das weisse Kleid wie ganz neu gewaschen anstund. Sie legte beide Arme auf seine Schultern und drückte ihn fest an ihr Herz, mit überfliessender Liebe, weil er ihrem Sohn so treu zu Hilfe kam in seiner Not. Der Mensch erschrak sehr und entgegnete: «Ich weiss nicht, dass ich Eurem Sohn je einen Dienst erwiesen hätte. Ich bin nur gekommen, um zu schauen, was Ihr tut.» Da verabschiedete sie sich und er sah sie nicht mehr. Er blickte neben sich und sah den Sohn neben sich auf einem Sessel sitzen. An ihm bemerkte er das gleiche Kleid, aber es war besprengt mit Rotem, wie wenn es jemand mit einem Wedel verspritzt hätte. Der Sohn neigte sich ihm zu und dankte ihm innig, dass er ihn so gut aufgenommen hatte in seiner Not. Dabei schaute er neben sich nieder und sah, dass auch er ein weisses Kleid anhatte, besprengt mit Rotem, genauso wie der Sohn. Das verwunderte ihn doch sehr, denn er wusste vorher nicht, dass er es anhatte. Sogleich, im gleichen Augenblick, sah er sich selbst im Bett, wo er gelegen hatte und meinte dabei, er habe gar nicht geschlafen. Amen. Betet für Caspar am Büel von Unterwalden, den Vorgenannten [*] Originalsprachlich am Schluss: Orate pro prescriptere casparus am büel de under walden etc. * Es handelt sich bei dem Dokument aus drei handgeschriebenen Blättern um ein Fragment, wovon der Anfang fehlt. Da wäre vermutlich der Name «Caspar am Bühl» bereits genannt, also vorher geschrieben worden. Der lateinische Schluss ist eher keine Unterschrift sondern ein Memorial, ein Totengedenken. Transkribierter Originaltext mit einleitendem Kommentar (PDF) |
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