Holzschnitt 1510
    
Nikolaus von Flüe
Bruder Klaus  
  
 
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   Quellen - Bruder Klausund Dorothea
  
  
Das Gebet von Bruder Klaus
  
Quelle Nr. 067

  

  
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Zeit: vor 1500
  
Herkunft: Älteste Handschrift: Berlin, Preuss. Kulturbesitz, Ms. germ 4º 636, 12v. Ende 15. Jh.
  
Kommentar: Es ist falsch, bei Bruder Klaus das Wichtigste in seinem gottverbundenen Leben zu ignorieren: die tägliche intensive Betrachtung der Passion Jesu [Leiden Jesu, Passion Christi]. Er will Jesu Leiden und Sterben im Herzen tragen, nicht nur ertragen, sondern mittragen. Welche Bedeutung hat das bekannte Gebet im Leben von Bruder Klaus? Gemäss der ältesten Quelle wird das Gebet in einer anderen als der gewohnten Reihenfolge überliefert. Die Haupt-Bitte «Nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen dir» steht ursprünglich zuoberst. Spannen wir einen Bogen zu den fünfzehn Passionsbetrachtungen (Quelle 055), dann erscheint uns einiges in neuem Licht: Der Beter will sich in den Wunden Jesu verbergen. Denn er erfährt eine grosse Schwermut, fast wie ein Ersticken – als lebensbedrohende Gefahr, biblisch vergleichbar mit dem Vorübergang des Todesschreckens (des Würgers) in Ägypten (Pesach, Ex 12), wo nur das «Lamm» Hilfe bringen konnte. – Ein anderes Bild ist der grosse Sturm auf dem Weltmeer; der Leib Christi ist da wie die schützende Arche, in ihr fühlt sich der Verängstigte geborgen (vgl. Ps 55,9–10; 64,2–3 und 57,2; Jes 25,4). «Leiblich etwas weiter nach innen gerückt, könnte man auch beten: «Verbirg mein Herz in der Wunde deines Herzens.» Dies würde genau der grossen zusammenfassenden Bitte im Bruder-Klaus-Gebet entsprechen.
  
Das Herz Jesu ist die bergende Arche, der Ort der Geborgenheit, die Burg. Diese Arche, das Herz Jesu, ist der «Ort der Ruhe» (Ps 132,14 vgl. auch Ps 62,2–7), das «Land der Ruhe» (Ps 95,11).
  
Die älteste Fassung entstand um 1500 und wurde vom Würzburger Literaturprofessor Kurt Ruh in einer Sammelhandschrift in Berlin (Preuss. Kulturbesitz, Berlin-Dahlem) wiederentdeckt. Blosser Zufall? In Berlin lebte und wirkte zwei Jahrhunderte nach Bruder Klaus der seelenverwandte lutherische Pastor Paul Gerhardt (gest. 1676), der in seinen weltbekannten Liedern auch vom Versenken in das Leiden Christi und vom Loslassen jeglicher hinderlicher Egozentrik redet, denn nur so wird der Mensch «zeitlich und ewig gesund» (Lied: Die güldene Sonne). Ähnlich war ja auch die Haltung Martin Luthers: Der Mensch findet Geborgenheit, Glück und heilende Kraft nur, wenn er sich vorbehaltlos «in die Arme Gottes wirft».
  
Übrigens kannte Martin Luther das Gebet von Bruder Klaus und erwähnte es in einer seiner Schriften (Quelle 227); Bruder Klaus stand bei ihm in hohen Ehren; nur bezüglich des Meditationsbildes hatte er eine negative Einschätzung, was jedoch auf Missverständnissen (Umweg über Bovillus und Horius – Quelle 201) beruhte. – Das Gebet war zuerst bei den Lutheranern, dann erst bei den Katholiken, sehr beliebt. – Auch dem Dichter Clemens Brentano war das Gebet von Bruder Klaus mehr als bekannt, er verfasste eine neuere Form in barocker Art mit den zusätzlichen Versen: «So betet ein und zwanzig Jahr/ Bruder Claus, alltäglich zwar/ Bei Melchthal in der Cellen, ... – Für die lutherische Überlieferung, bereits in neuerer Strophenabfolge, von grosser Bedeutung ist Cyriacus Spangenberg mit seinem 1582 erschienenen «Psalter Davids», in dem er nach dem Psalm 103 das Gebet von Bruder Klaus setzte. Im gleichen Jahr erwähnt auch Jakob Schopper dieses Gebet (Quelle 274).
  
Referenz: Faksimile in: Rupert Amschwand, Ergänzungsband, 209 sowie in: Heinrich Stirnimann, Der Gottesgelehrte Niklaus von Flüe, 73 (Freiburg Schweiz 1981) – Hier ist auch eine umfassende Studie zum Thema zu finden (Seiten 71–140). – Eine ausführliche Liste der existierenden Versionen des Gebets befindet sich bei Rupert Amschwand, Ergänzungsband, 208–211

  

              Bruder Klausens gewöhnliches Gebet:
  
           O mein Gott und mein Herr, nimm mich mir
           und gib mich ganz zu eigen dir.
           O mein Gott und mein Herr, nimm von mir
           alles, was mich hindert gegen [zu] dir.
           O mein Gott und mein Herr, gib mir
           alles, was mich fördert zu dir. Amen.
  
Handschrift Berlin
  
Es gibt zwei Fassungen, was die Abfolge der Verse betrifft. Gründe für die Änderung waren weniger theologisch sondern eher poetisch-literarisch. Es sollten Rhythmus und Tempo verbessert werden mit der Verlangsamung (Synkope) am Schluss. Was poetisch sinnvoll ist, ist es auch theologisch: Zuerst kommen die reziproken Relationen des Abwendens und Zuwendens, die dann ganz in der Zuwendung enden, zur Ruhe kommen. Ein Schema der mystischen Theologie kennt da die drei Stufen: Reinigung, Erleuchtung, Vereinigung (unio).
  
Die Prosa-Version von Martin Luther wurde um 1540 verstümmelt wiedergegeben (
Quelle 227 unten ):
O Herr nimm von mir, was mich abwendet von dir.
O Herr gib auch mir, das mich kehrt zu dir.
O Herr n— und gi—
  
Daraus entstand dann die rhythmische Form, höchstwahrscheinlich durch Cyriacus von Spangenberg, um 1582 (Psalter Davids, nach dem Psalm 103). Der Rhythmus wird in der 2. Strophe allerdings ein wenig gestört durch das «auch» (Diphthong, Doppelvokal):
O herr nimm von mir
Was mich wendt von dir
O herr gib auch mir
Das mich kert zu dir
O herr nimm mich mir
Und gib mich aigen dir.
  
Der niederländische Jesuit Petrus Kanisius verwendet 1586/87 (Quelle 275) nahezu diese Version; in der 1. Strophe stolpert jedoch der Rhythmus nochmals, dafür finden wir am Schluss eine deutliche Synkope:
O Herr nimm von mir,
Was mich wendet von dir.
O Herr gib auch mir,'
Das mich kehrt zu die.
O Herr nimm mich mir,
Und gib mich ganz zu eigen dir.
  
Die Gottesanrede hat im Lauf der Geschichte auch Änderungen erfahren. Heisst es in der ältesten bekannten Fassung «Mein Gott und mein Herr ...», so wurde dies später verkürzt zu «Mein Herr …»
Ein Grund könnte die Annäherung an die Sprache der Psalmen sein. Dass sich dann aber schliesslich die Formel «Mein Herr und mein Gott.», exakt in dieser Reihenfolge, durchsetzte, mag einen theologisch-biblischen Grund haben, entsprechend der Anrede durch den vorher «ungläubigen» und jetzt gläubigen Thomas an Jesus nach der Auferstehung:
«Thomas antwortete und sprach zu ihm [Jesus]: Mein Herr und mein Gott!» (Joh 24,28, hier zitiert nach der Lutherbibel).
  
Im Ganzen sind bis heute 26 Textzeugen aus der Zeit bis 1600 bekannt – zum Teil sind es auch nur Fragmente –, die der Benediktinerpater Dr. Rupert Amschwand 1987 auflisten konnte (Ergänzungsband, 208–211).
  
Zeitlich vorausgehend finden wir derartige gedankliche Inhalte bereits bei Gertrud von Helfta (1256–1302). In das Gebet ist sicher Vieles eingeflossen, was die Berater des Klaus von Flüe, Oswald Issner und Heimo Amgrund, als Gemeingut vermitteln konnten, entsprechend der Allgemeinbildung der Weltkleriker im 15. Jahrhundert.

 
Heutige Lied-Version, siehe: Katholisches Gesangbuch der Schweiz, Nr. 546 – Evangelisch-reformiertes Gesangbuch der Schweiz, Nr. 650
    
  
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